Das einheitliche Sein als Erklärungsprincip. 91
kläraungsbedürfnisses beherrscht. Eine Erklärung für das
Mannigfaltige in Zeit und Raum, für die Vielheit der gleich-
zeitigen und successiven Teile des Weltganzen kann nur durch
die Zurückführung des Vielfältigen anf ein Einheitliches und
Beharrliches gewonnen werden.!‘) Jede Erklärung, die das
Viele und die Veränderungen nicht aus einem solchen Kin-
heitlichen und Unveränderlichen, sondern abermals aus Mannig-
faltigem und Veränderlichem herleiten wollte, würde ja im
solcher Bemühung gerade das zu Erklärende selbst bereits als
ein. Gegebenes voraussetzen: Vielheit wiederum durch Vielheit,
Veränderung wieder durch Veränderung erklären hieße in der
Tat nichts Anderes, als auf die geforderte allgemeine Erklä-
rung der Vielheit und der Veränderung Verzicht leisten.
Die Voraussetzung eines beharrlichen Seins im Wechsel
der Erscheinungen bietet sich dem naiven Denken gleichsam
von selbst dar. Ist doch bereits in den beharrlichen Dingen
des. natürlichen Weltbildes ein solcher Begriff geprägt und
zum selbstverständlichen Besitz des vorwissenschaftlichen Den-
kens ‚geworden, der nur der zielbewußten Anwendung zur
Erklärung des Weltganzen barrt. Inden dieser Begriff als
Erklärungsprincip Aufnahme in das philosophische Denken
findet, wird die darauf gegründete, naiv-monistische Metaphysik
nobwendiger Weise naturalistisch: das zur Erklärung des
Mannigfaltigen vorausgesetste einheitliche Sein wird als ein
in der räumlichen Welt der Dinge Gegebenes hingenommen,
ohne daß die Frage nach der Berechtigung dieser Annahme
sich aufdrängt. Mag das einheitliche Princip als ein über-
natürliches, göttliches, in anthropomorpher Form mit geistigen
Eigenschaften ausgestaßtetes erscheinen oder als ein natür-
liches, sinnlich-stoffliches gedacht werden — stets wird sein
beharrliches Dasein im Raume unbedenklich als selbstverständ-
lich vorausgesetzt.
Sobald nun aber der bezeichnete erste Erfolg errungen,
das einheitliche beharrliche Sein als Princip für die Erklärung
1) Man beachte, daß das Einheitliche als solches auch ein
Beharrliches sein muß: da jeder Wechsel, jede Veränderung . eine
Vielheit — nämlich die. Vielbeit der suceessiven Zustände — invol-
viert, die, als Vielheit, der Einheit widerspricht.