I S 11 Anfänge metaphysischer Systembildung.
des Mannigfaltigen gewonnen ist, tritt zunächst eine Beruhi-
gung des Erklärungsbedürfnisses ein. Schon durch den bloßen
Gedanken des einheitlichen Erklärungsgrundes, des gemein-
samen Princips in allen Erscheinungen ist der Forderung des
Ökonomieprincips auf dieser primitiven Stufe der Entwicklung
genügt. Die Ruhe des Denkens ist gerettet, indem das Welt-
ganze unter dem gewonnenen Gesichtspunkte eben als“ ein
Ganzes, Eirnheitliches erscheint.
Wir können uns auf der heuligen Stufe unseres Denkens,
dem ein solcher Einheitsbegriff in der einen oder in der andern
Form, sei es als Begriff der Materie, sei es als Gottesbegriff
völlig geläufig ist, kaum mehr eine Vorstellung davon machen,
welche Wirkung die erste Conception dieses Gedankens aus-
üben mußte. Tatsächlich zeigt die nächste Entwicklung des
philosophischen Denkens nur das Bestreben, für die gewonnene
begriffliche Form einen befriedigenden Inhalt zu finden, das
beharrliche Weltprineip in der einen oder in der anderen
Weise näher zu bestimmen, Die Frage nach der Finordnung
des Einzelnen unter den gewonnenen allgemeinen Gesichts-
punkt, nach der Möglichkeit und dem Mechanismus der Er-
klärung mit Hilfe des gefundenen Prineips wirl dagegen
zunächst nicht zur nicht beantwortet, sondern überhaupt nicht
gestellt. Vor dem beunruhigenden Chaos der Erscheinungen
flüchtet sich das Denken nur allzugerne auf jene Höhen, von
denen das Weltgenze sich in einheitlicher Übersicht dem Blick
darbietet -—- unbekümmert darum, ob dieser ruhige Über-
blick durch einen Verzicht auf Klarheit erkauft wird, indem
alle Verhältnisse der Einzeldinge im Nebeldaft der Ferne ver-
schwimmen.
Die soeben in ihren Grundzügen angedeutete erste Ent-
wicklung metaphysischer Begriffsbildung findet ihre typische
Illustration in den Gedankengängen der ältesten Phase grie-
chischer*‘) Wissenschaft, der milesischen Waturphilosophie.
1) Wenn im Folgenden die historischen Beispiele zur Wlustration
der sachlichen Entwicklung zunächst nicht bei irgend einem anderen
Volke des Altertums — etwa bei den Indern -— sondern bei den
Griechen gesucht werden, so geschieht dies nicht aus bloßer Anhäng-
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