Full text: Einleitung in die Philosophie

94 $ 11. Anfänge metaphysischer Systembildung, 
Bestimmtheit jenem Begriffe widerspräche. Doch bleibt es 
fraglich, wie weit diese Consequenzen von Anaximander tat- 
sächlich gezogen worden sind. Die Vorstellung des Anäxi- 
menes, der jenes Unbegrenzte mit der Luft identifieiert, 
würde von dem letzteren Gesichtspunkt aus weniger consequent 
erscheinen, während andererseits seine Theorie, die alles Ein- 
zeine durch Verdichtung und Verdünnung aus jenem Ur- 
stoff hervorgehen läßt, dem HKrklärungsbedürfnisse besser ge- 
nügen mag, als die bloße „Aussonderung“ des Einzelnen aus 
dem Grenzen- und Bestimmungslosen, 
Wenn. auch alle diese Theorien durch mehr oder minder 
ausführliche Beschreibungen der Entstehung des Weltgebäudes 
aus der dpyn ihre Ergänzung finden, so bleibt doch überall 
die Frage völlig ungeklärt, in welcher Weise man sich die 
Manifestation des einheitlichen Seins in der Vielheit der‘ KEr- 
scheimnungen zu denken habe und wie sich dasselbe in dieser 
Vielheit dennoch als das Eine und Unveränderliche erhalte. 
Der Begriff der dog ist noch keineswegs klar zu Ende gedacht; 
die Erklärungen bleiben mit mythologischen Vorstellungen. in 
unklarer Weise vermischt. Erst einer späteren Entwicklung 
bleibt es vorbehalten, alle Consequenzen zu erkennen, die in 
dem Begriff jenes einheitlichen Princips schlummern. Das un- 
geschulte Denken begnügt sich zunächst an Stelle der begriff- 
lichen Klarheit mit unvollkommen durchdachten Analogien, die 
das Krklärungsbedürftige unter dem Bilde gewohnter Vorgänge 
scheinbar begreiflich machen, während tatsächlich diese ge- 
wohnten Vorgänge im selben Maße der Erklärung bedürfen, 
wie jene, dıe durch sie erklärt werden sollen. 
Die Consequenzen, zu welchen sich das philosophische 
Denken. durch die logische Entwicklung des Begriffes der 
deyn‘ geführt sieht, werden wir in den nächsten Abschnitten 
verfolgen. 
Was die ethischen Probleme anbelangt, so bleibt für 
dieselben in der hier befrachteten ersten Phase philosophischer 
Speculation folgerichtig kein Platz, da diese ihr Augenmerk 
ausschließlich auf die Erklärung der objestiven Welt richtet. 
Die. ethische Überlegung führt in dieser frühesten Periode
	        
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