14) 8 17. Der rationalistische Idealismus.
versagt. Da wir uns der Ideenwelt nur durch das Denken
nähern. können, so ist das Denken der wichtigste Teil unseres
Seins, die wichtigste Function unserer Seele: die „begehrenden
Teile“, welche unsere Seele neben diesem „erkennenden“ be-
sitzt, müssen durch den letzteren beherrscht werden, in welchem
wir wegen seiner Verwandtschaft mit den Ideen zugleich den
unvergänglichen Teil unserer Seele zu erblicken haben.
Unsere höchste Aufgabe besteht in der Erfüllung der Be-
stimmung dieses denkenden Teiles unserer Seele — in der KEr-
kenntnis der Ideen und vor allem der Idee des Guten, d. h. der
Gottheit. Wie in der Seele des Einzelnen, so soll auch im
Staate die Einsicht herrschen, die anderen menschlichen Eigen-
schaften sollen sich ihr unterordnen; als die höchste Aufgabe
des Staates ist folgerichtig die Erziehung der Bürger zur
Tugend zu betrachten. Daß die platonische Ethik im Gegen-
satze zu den oben bezeichneten egoistisch-eudämonistischen
Theorien die gemeinsamen Interessen im Staate betont
und mit besonderer Ausführlichkeit behandelt, entspricht der
metaphysischen Grundansicht, welche nur im Gattungsbegriffe,
nicht im Individuum das wahre Sein erkennt.
Die Ethik des Aristoteles kann sich, entsprechend seinem
veränderten metaphysischen Standpunkte, nicht wie die plato-
nische auf ein Ziel in der jenseitigen Welt richten, sondern
muß das Gute und damit das Ziel unseres Verhaltens in der
tatsächlich gegebenen Welt suchen. Wenn aber Aristoteles
demgemäß seine Ethik ausdrücklich auf eine eudämonistische
Grundlage stellt, so nähert sich dieselbe doch in der Aus-
führung in vielen Punkten der platonischen Lehre. Auch ihm
gilt als die dem Menschen wesentliche Fähigkeit die des ver-
nünftigen Denkens; in der Ausübung dieser Fähigkeit besteht
daher die dem Menschen zukommende Tätigkeit und damit
zugleich die wesentliche Bedingung seiner Glückseligkeit. Dem-
gemäß hat auch bei Aristoteles die Vernunft die Aufgabe,
das Begehren und Handeln zu leiten — wobei er jedoch im
Gegensatze zur intellectualistischen Ethik ausärücklich auf die
Abhängigkeit des vernunfigemäßen Verhaltens von der Übung
aufmerksam macht. In der harmonischen, durch die Vernunft
bestimmten Entwicklung aller unserer Anlagen besteht unsere
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