Das Gedächtnis. 21
Ich denke an den Ton a. Während ich an ihn denke, höre
ich darum noch nicht diesen Ton: das Vorstellungs- oder
Gedächtnisbild des Tones, welches mir jetzt entgegentritt,
und der Empfindungsinhalt a, welcher im Falle des „wirk-
lichen Hörens“ in meinem Bewußtsein auftritt, sind, wie wir
schon früher fanden, wesentlich verschiedene Erlebnisse. Aber
dennoch meine ich, während ich nun jenes Gedächtnisbild vor-
finde, genau zu wissen, daß ich an den tatsächlich früher
empfundenen Ton a denke: die Eigenschaften dieses gegen-
wärtig nicht gegebenen Inhaltes (einschließlich seines zeitlichen
und qualitativen Unterschiedes von dem gegenwärtig erlebten
Gedächtnisbilde) sind mir im jetzigen Augenblicke durchaus
nicht ebenso vernichtet, wie der vergangene Augenblick als
solcher vernichtet ist, sondern ich habe von ihnen durch mein
Gedächtnisbild sichere Kenntnis. Obwohl also der empfundene
Ton (Empfindungsinhalt) @ nicht gegenwärtig mein Bewußt-
seinsinhalt ist, weiß ich dennoch von ihm; obwohl ich mit
Sicherheit weiß, daß der unmittelbar gegebene Inhalt meines
Bewußtseins, nämlich das Gedächtnisbild, verschieden von
dem einstigen Empfindungsinhalte @ ist, erstreckt sich mein
Wissen dennoch auch auf den letzteren. Bewußtsein eines
Inhaltes und Wissen von einem Inhalte ist also durchaus
nicht gleichbedeutend. Im Gegensatze zu der unmittelbaren
Kenntnisnahme der jeweils gegenwärtigen Bewußtseinsinhalte
müssen wir diese Art der Erkenntnis als eine durch das Ge-
dächtnisbild vermittelte, durch die natürliche Symbolik
des Gedächtnisses bedingte bezeichnen.
Das Gedächtnisbild hat also stets eine von ihm selbst zu
unterscheidende Bedeutung. Indem wir uns zu verschiedenen
Zeitpunkten desselben früheren Erlebnisses zu erinnern ver-
mögen, kann die Bedeutung der zu verschiedener Zeit auf-
tretenden Gedächtnisbilder identisch sein und von uns als
identisch erkannt. werden. Auch diese Tatsache — die gegen-
über der einfachen Erinnerung ein wesentlich neues Moment
enthält — ist, wie man ohne Weiteres erkennt, eine not-
wendige Bedingung für den Zusammenhang unserer Erfahrung.
Man spricht in solchen Fällen vom Wiederauftreten „des-
selben“ Gedächtnisbildes zu verschiedenen Zeitpunkten; eine