Full text: Einleitung in die Philosophie

220 828. Die Factoren des Zusammenhangs der Erfahrung. 
ohne daß wir dazu die einzelnen Bestandstücke dieser Com- 
plexe wiedererkennen müßten. Wie für die Unterscheidung, 
so gilt auch für das Wiedererkennen, daß größere Gesamt- 
inhalte vielfach zunächst im Ganzen wiedererkannt werden, 
während erst eine spätere Entwicklungsphase an Inhalten dieser 
Art weitere Teile unterscheidet und wiedererkennt. Die Er- 
kenntnis der Ähnlichkeit von Complexen als ganzen geht dem- 
gemäß in solchen Fällen dem Wiedererkennen ihrer Teile vorher.) 
Die Consequenzen der hier besprochenen Tatsachen für 
die Entwicklung unseres psychischen Lebens werden im Fol- 
genden ausführlich zu betrachten sein. Nur auf einen Punkt 
muß an dieser Stelle zur Vermeidung von Mißverständnissen 
noch hingewiesen werden. Die Ähnlichkeitserkenntnis hat zur 
Voraussetzung das Dasein verschiedener Bewußtseinsinhalte, 
zwischen welchen die Ähnlichkeit erkannt. wird; in dem be- 
trachteten primären Falle sind diese beiden Inhalte ein gegen- 
wärtiger Empfindungsinhalt und die Erinnerung eines früheren 
ähnlichen Inhaltes — d.h. der in der Erinnerung mittelbar 
gegebene frühere Inhalt. Wie steht es aber mit den alltäg- 
lichen Fällen des .,„Wiedererkennens“, in welchen uns ein ge- 
wohnter Inhalt entgegentritt, d. bt. ein Inhalt, der uns so 
geläufig ist, daß wir uns überhaupt nicht veranlaßt finden, nach 
irgendwelchen vergangenen Inhalter zu fragen, mit welchen 
er Ähnlichkeit aufweisen möchte, und der dennoch als ein 
längstbekannter von uns „wiedererkannt“ wird? Das Blau des 
Himmels, der Ton unserer Stimme, die Wärme der Julisonne 
erscheinen uns unmittelbar als etwas völlig Bekanntes, wo 
immer wir sie vorfinden; keineswegs aber findet sich im Be- 
wußtseinstatbestand des naiven Menschen in solchen Fällen 
jedesmal die ausdrücklich unterschiedene Erinnerung früherer 
Erlebnisse, die ihm diese Bekanntschaft vermitteln, und eben- 
sowenig weiß der naive Mensch in solchen Fällen etwas von 
einer zwischen jenen Eindrücken und diesen früheren Erleb- 
nissen bestehenden Ähnlichkeit. Es scheint also hier tatsäch- 
1) Man sieht auch hier, wie die rein empirische Analyse des un- 
mittelbar Gegebenen in Gegensatz zur atomistischen Psychologie tritt, 
die für die Erkenntnis jedes größeren Ganzen einen Aufbau aus seinen 
einzelnen Bestandstücken im Bewußtsein fordert.
	        
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