Full text: Einleitung in die Philosophie

Kant. Materie und Form der Erfahrung. 25 
Der Kantsche Gegensatz von Materie und Form der Erfahrung 
geht auf eben diesen Unterschied: die einzelnen Erfahrungen 
werden erst durch jene aus unserem Erkenntnisvermögen 
stammenden Factoren in den Zusammenhang der Einheit 
unseres Bewußtseins gebracht; jene Erfahrungen sind die 
„Materie“ unseres Erkennens, diese Factoren geben denselben 
die „Form“, in welcher wir sie als Bestandteile unseres KEr- 
fahrungsganzen besitzen. 
In der Tat besitzen wir, im Gegensatze zu jenen induetiv 
gewonnenen allgemeinen Sätzen, die durch jede folgende ab- 
weichende Erfahrung widerlegt werden, eine Reihe von KEr- 
kenntnissen, deren Sicherheit und Allgemeingültigkeit uns un- 
abhängig von allen weiteren. Erfahrungen feststeht. Sätze 
wie die der Arithmetik und der Geometrie erschließen wir 
nicht aus irgendwelchen einzelnen Erfahrungen in der Welt 
der Dinge, die uns über die fraglichen Tatsachen Atufschluß 
gäben. Nicht erst dadurch, daß wir in ungezählten Fällen zu 
zwei Dingen ein drittes hinzufügen, gewinnen wir den allge- 
meinen Satz, daß 2 +1 == 3 ist; vielmehr können wir uns nur 
vermittelst eben dieses Satzes. davon überzeugen, daß nicht 
während atıserer Operation mit jenen Dingen eines derselben 
abhanden. gekommen oder mit einem der anderen verschmolzen 
ist. Ebenso gewinnen wir nicht durch irgend eine Messung 
ar den Dingen die Kenntnis der geometrischen Sätze; vielmehr 
controllieren. wir die Richtigkeit unserer Messungen jederzeit 
nur durch diese Sätze, und wo uns die Messung eine Ab- 
weichung von den letzteren ergibt, halten wir uns überzeugt, 
ı ‚daß nicht die Sätze der Geometrie, sondern die Ergebnisse 
unserer Messung irrtümlich gewesen sind. Ähnliches meint 
u Kant hinsichtlich der Sätze ‚der „reinen Naturwissenschaft“, 
2 z. B. des Satzes von der Constanz der Materie sowie des Causal- 
2. gesetzes erweisen zu können. 
A Urteile dieser Art, die nicht durch folgende Erfahrungen 
n widerlegt werden können, sondern deren Gewißheit und Al- 
8 gemeingültigkeit uns für alle künftigen Erfahrungen von vorn- 
ır herein feststeht, nennt Kart Urteile a priori im Gegensätze 
9 zu den Urteilen a posteriori, die jeweils nur auf Grund be- 
d stimmter Erfahrungen gelten und von uns nur vermöge jener 
Cornelius, Einleitung in die Philosophie. 2. Aufl. 5 
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