Full text: Einleitung in die Philosophie

3 85 31. Das Ich. 
diese Nachwirkungen bilden gleichsam einen Zusammenklang, 
durch dessen Gesamtfärbung unsere jeweilige Stimmung be- 
dingt ist; indem wir von den Bestandteilen dieses Ganzen den 
einen oder den anderen bemerken, kommt das Phänomen zu 
Stande, welches wir als die „Erinnerung“ oder als das „Denken 
an“ dieses oder jenes Ereignis unseres vergangenen Lebens 
benennen. Hier wie dort ist es eine Begriffsbildung der zweiten 
Kategorie, durch welche wir den gesetzmäßigen Wandel der 
verschiedenen Erscheinungen — das Heraushören des einzelnen 
Tones bez. die Erinnerung und das Verschwinden des einzelnen 
Tones im einheitlichen Zusammenklange bez. der Nachwirkung 
des Vergangenen in der Gesamtstimmung des Augenblickes — 
in einem einzigen Symbole zusammenfassen. Entsprechend den 
früheren Betrachtungen sind die so definierten unbemerkten 
Factoren unserer Persönlichkeit zugleich als die Ursachen 
der entsprechenden Bewußtseinserscheinungen zu bezeichnen.) 
Insofern die Färbung jedes Erlebnisses durch alle Factoren 
des vorhergegangenen KErlebnisses mitbedingt ist, ebenso 
aber auch das Erlebnis dieses vorhergegangenen Augenblickes 
wiederum durch dasjenige des ihm vorhergegangenen Mo- 
mentes u. s. w., müssen wir folgerichtig davon. sprechen, daß 
jeder Augenblick unseres Lebens durch alle vergangenen Kr- 
Jebnisse mitbeeinfiußt wird: daß also die Nachwirkungen aller 
vergangenen Erlebnisse als — im Allgemeinen unbemerkte — 
Bestandteile unserer, Vorbereitung fortbestehen. Auch den Er- 
lebnissen, deren wir uns in keiner Weise mehr einzeln erinnern, 
müssen wir doch stets irgend einen, wenn auch vielleicht nur 
minimalen Einfluß auf unser folgendes Dasein zuschreiben. 
Diese Folgerung, zu welcher uns die Begriffsbildung der un; 
bemerkten Nachwirkungen des Vergangenen mit Notwendigkeit 
führt, mag im ersten Augenblicke paradox_ erscheinen. Sie 
1) Von „psychischer Causalität‘“ auch da zu sprechen, wo durch 
einen Complex von Inhalten neue Merkmale (Gestaltqualitäten) gegen- 
über den Merkmalen der einzelnen Inhalte bedingt erscheinen — wie e£ 
gelegentlich geschieht —, ist zum Mindesten inconsequent, da durch 
einen solchen Sprachgebrauch völlig Disparates unter einem gemein- 
samen Namen befaßt wird. 
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