Fremdes Bewußtseinsleben. 329
für die Erlebnisse unseres Bewußtseins. Kann nach dem
Scheitern der Bemühungen zum Beweise jener Abhängigkeit
zum Mindesten nicht behauptet werden, daß notwendiger Weise
das psychische Leben mit der Zerstörung seiner
physiologischen Grundlage auch seinerseits unter-
gehen müsse, so können wir nach der eben gemachten Be-
merkung auch nicht etwa umgekehrt aus der Constanz der
genannten Factoren einen Schluß auf die Fortdauer unseres
psychischen Lebens nach dem Tode ziehen. Ob unser
Bewußtsein mit dem Tode sein Ende findet oder ob es etwa
nach demselben in ähnlicher Weise von neuem erwacht, wie
nach den mannigfachen Unterbrechungen, die es durch Schlaf,
Narkose oder Ohnmachten erleidet, ist eine der Fragen, welche
wir wissenschaftlich nicht zu entscheiden vermögen. Da unsere
Erfahrung uns weder in der einen noch in der anderen Rich-
tung einen KErkenntnisgrund an die Hand gibt, so ist die Be-
hauptung der Zerstörung unseres psychischen Lebens durch den
Tod wissenschaftlich so wenig berechtigt, als die Behauptung
der Fortdauer unseres psychischen Lebens nach dem Tode.
Die Wissenschaft kann daher dem Glauben an solche
Fortdauer weder Abbruch tun, noch vermag sie ihn zu stützen;
sie kann nur die irrtümlichen Beweisversuche abwehren, die
nach der einen wie nach der anderen Richtung wieder und
wieder unternommen werden.*)
Fremdes Bewußtseinsleben.
Entsprechen die Ergebnisse, zu welchen die wissenschaft-
liche Analyse uns hinsichtlich des Begriffes unserer geistigen
1) Während in dieser Hinsicht das Ergebnis unserer Betrachtung
mit demjenigen übereinstimmt, zu welchem Kant auf Grund seiner
kritischen Untersuchung gelangt, indem er unser wissenschaftliches Kr-
kennen in eben die Grenzen einschließt, innerhalb deren uns mögliche
Erfahrung das Object unserer Fragen an die Hand geben kann, so lassen
uns hinsichtlich der Bedeutung unserer Frage die früheren Betrach-
tungen eine andere Formulierung gewinnen, als sie Kant (im Schluß-
abschnitie der Paralogismen der reinen Vernunft in der ersten Auflage
der Kritik der reinen Vernunft) gegeben hat. Es mag hier genügen, auf
diesen Unterschied hingewiesen zu haben, dessen Formulierung dem
Leser überlassen bleiben darf,