Fremdes Bewußtseinsleben. 331
In der Tat hindert uns keine unserer Erfahrungen, die
Gesamtheit der uns umgebenden Organismen als rein auto-
matische Maschinen aufzufassen, mit deren Bewegungen
keinerlei psychisches Leben verbunden ist und in deren Mitte
unser Ich als das einzige Bewußtseinsleben übrig bleibt. Was
uns diese empirisch nie zu widerlegende „solipsistische“ An-
schauung als eine Ungeheuerlichkeit erscheinen läßt, ist nur
die Fremdartigkeit, welche die gesamte belebte Welt durch
diese Anschauung erhält, gegenüber der Vertrautheit, die jenen
Bewegungen durch die natürliche Deutung in Analogie mit
unseren eigenen Bewegungen zu Teil wird. Nur durch diese
dem natürlichen Weltbilde geläufige Vorstellung vermögen wir
die Gesamtheit der uns umgebenden Organismen unter einen
uns bekannten Gesichtspunkt zu fassen; ohne diese Vor-
stellung würden dieselben uns als etwas höchst Unheimliches,
Gespensterhaftes entgegentreten.‘) Das Prineip der Ökono-
mie des Denkens ist es auch hier, welches unsere Begriffs-
bildungen beherrscht: da die vorwissenschaftliche Begriffsbildung
diesem Prineip bereits vollständig und ohne jeden Widerspruch
mit der Erfahrung genügt, vermag das wissenschaftliche Denken
ihr nichts hinzuzufügen.”
Bleibt hiernach die Annahme beseelter Organismen eine
Theorie, deren. Bestätigung innerhalb der Grenzen möglicher
gestellt denken, die uns die fremden Empfindungen direct wahrzunehmen
gestattete. Allein was wir in einem solchen Falle wahrnehmen würden,
bliebe‘ doch stets eben unsere Wahrnehmung und nicht die fremde
Wahrnehmung, d.h. es wäre eben nach wie vor als zugehörig zu
unserem Bewußtseinsverlauf und nicht zu irgend einem anderen Be-
wußtseinsverlaufe gegeben.
1) Vgl. Avenarius, Der menschliche Weltbegriff S. 8.
a) Die Annahme der Allbeseelung, die von Manchen irrtümlich
aus der Voraussetzung des „psychophysischen Parallelismus‘ gefolgert
wird, würde nicht in gleicher Weise dem genannten Princip entsprechen :
soweit die wissenschaftliche Untersuchung uns die Gesetzmäßigkeiten
derjenigen Vorgänge kennen lehrt, welche ohne Zugrundelegung eines
psychischen Lebens ihre „Erklärung“ finden können, muß die allbesegelende
Mythologie aus. unserem Weltbilde ausscheiden. (Aber auch nur eben
so weit, als diese Voraussetzung zutrifft: j enseits der wissenschaftlichen
Naturerklärung — in einem ästhetischen Weltbilde — behalten Mytho-
logie und Diehtung ihre rechtmäßige Stelle.)