Das Sittengesetz. 359
sobald wir uns jenes höheren Wertes wieder bewußt werden,
durch das Gefühl der Beunruhigung zu erkennen, welches
der Gedanke an den vollzogenen Entscheid in ums wachruft,
— ein Gefühl, welches die Sprache als das Gefühl der Reue
über diesen Entscheid bezeichnet. Insofern alle Wirkungen des
neuen Factors unserer Persönlichkeit, welcher einem solchen
Entscheid sein Dasein verdankt, stets mit diesem Gefühle der
Beunruhigung behaftet sind, bleibt der Erfolg des Eintscheides,
so wertvoll er unter anderen Umständen vielleicht für uns ge-
wesen wäre, stets nicht nur selbst em minderwertiger, 80B-
dern er zerstört auch die positiven Gefühlswirkungen anderer
Factoren unserer Persönlichkeit, wo immer sein Einfluß auf
unseren Bewußtseinszustand sich geltend macht, und mindert
insofern den Gesamtwert unserer Persönlichkeit herab,
Ja sein Einfluß kann sich so weit erstrecken, daß uns alle
anderen. Werte zerstört, unser Glück und unsere Ruhe dauernd
vernichtet werden,
Erweist sich sonach ein Entscheid der bezeichneten Art
unter allen Umständen als ein minderwerfiger, so werden
wir unser Streben in erster Linie darauf richten müssen, jene
Widersprüche in unserem praktischen Verhalten zu vermeiden.
Die Forderung dieser Gesetzmäßigkeit unserer Ent-
schließungen erscheint als höchste praktische Norm, ‚weil
jede Abweichung von derselben eine Verminderung des Wertes
unserer Persönlichkeit bedingt. Die Übereinstimmung mit
dieser Norm ist es daher, an der wir den sittlichen Wert
unseres Verhaltens in jedem Falle messen. Die Berücksich-
tigung dieser Norm heißt unsere Pflicht, die Norm selbst
heißt die sittliche Norm oder das Sittengesetz: ein Ver-
halten, das mit dieser Norm übereinstimmt, wird moralisch
genannt, ein entgegengesetztes Verhalten unmoralisch.
Man kann die bezeichnete Forderung noch in anderer
Form zum Ausdrucke bringen. Jede Entscheidung, welche mit
unseren tatsächlich bestehenden Wertbegriffen in Widerspruch
steht, ist insofern inconsequent und vernunftwidrig; die
Entscheidung in Übereinstimmung mit unseren Wertbegriffen
steht jener somit als die consequente, vernunfigemäße