Eudämonistische und timetische Willensbestimmung. 363
Die gewonnene allgemeine Bestimmung für diese notwendige
Bedingung zur Erreichung des eudämonistischem-Zieles — die
Forderung der Achtung vor dem Sittengesetze — ist eine
timetische Bestimmung nach der Definition dieses Begriffes;
sie ist zugleich die höchste timetische Norm, da ja, wie, wir
soeben fanden, jeder timetischen Willensbestimmung morali-
scher Wert genau so weit zukommt, als sie mit dem Sitten-
gesetze zusammenfälit.
Zeigen diese Betrachtungen, daß die consequcnt eudämo-
nistische und die timetische Willensbestimmung ihrem Wesen
nach identisch sind, so verschieden: beide auf den ersten Blick
erscheinen mögen, so folgt aus denselben zugleich die ergänzende
Correetur, welche wir früher für die altraistischen Modifecationen
der hedonistischen Ethik, den Ubilitarismus und die Mit-
leidsmoral, fordern mußten. Wie wir es für unsere Pflicht
erkannten, für uns selbst nicht den einzelnen. Lusterfolg, son-
dern das Wertvolle, und in erster Linie nicht äußere Werte,
sondern Persönlichkeitswerte zu erstreben, so müssen wir auch
unserem Wirken zu Gunsten unserer Mitmenschen entsprechende
Ziele setzen: nicht zu hedonistischer Hilfeleistung darf uns
unser Mitleid verführen, sondern in der Förderung von Per-
sönlichkeitswerten besteht die Pflicht, die wir gegen Andere
wie gegen uns selbst zu erfüllen haben. Soweit die Möglichkeit
solcher Förderung durch äußere — speciell durch wirkschaftliche
_— Werte bedingt ist, werden wir natürlich auch für diese Werte
Sorge tragen müssen. Nur dürfen wir nicht vergessen, daß
solche „utilitarische“ Handlungsweise als solche noch nicht
ethisch wertvoll ist, daß alle wirtschaftlichen Werte eben bloß
Mittel und niemals Selbstzweck sein können: nicht vergäng-
liches äußeres, sondern dauerndes inneres Glück ist das Ziel,
das wir unserer ethischen Bestrebung zu setzen haben. Die-
selbe Überlegung zeigt zugleich die Minderwertigkeit des-
jenigen Altrüismus, der sich auf die jedesmalige Berücksichti-
gung der sympathischen Gefühlserlebnisse, d. h. eben auf das
Mitleid im herkömmlichen Sinne des Wortes gründet: nur die
Rücksicht auf das dauernd Wertvolle, nicht aber die Rücksicht
auf die einzelnen. Gefühlserlebnisse darf für unser Handeln
ausschlaggebend sein.