368 8 33. Der Wertbegriff und die praktischen Normen.
meinschaft leben, wenn wir keinerlei Garantie dafür
haben, in welcher Weise sich unsere Mitmenschen
gegenüber unseren Wertbestrebungen verhalten wer-
den. Wo immer daher die Menschen in irgendwelchen dauernden
Beziehungen leben, kommt es notwendig zur Erfüllung dieser
Forderung:
Der genannte Zustand heißt allgemein der Zustand des
positiven Rechts oder kurz der Rechtszustand. Die
Werte, in Bezug auf welche jener Zustand hergestellt ist,
heißen rechtlich geschützte Werte. Im Gegensatz zu dem
positiven oder „geltenden“ Rechte werden diejenigen ethischen
socialen Ansprüche, welche nicht rechtlich geschützt sind, viel-
fach als „natürliche Rechtsansprüche“ bezeichnet. Inso-
fern man nur denjenigen Rechtszustand als „gerecht“ beurteilt,
dessen ethische Berechtigung man erkennt, während man um-
gekehrt jeden Zustand, der den ethischen Forderungen wider-
spricht, als ungerecht empfindet, erscheint das geltende Recht
stets insoweit ungerecht, als der Einzelne sociale Werte er-
kennt oder zu erkennen glaubt, welche rechtlich nicht ge-
schützt sind. Der Gegensatz zwischen geltendem und „natür-
lichem“ Recht hat in diesen Unterschieden seine Wurzel; die
Versuche, ein „Naturrecht“ auf positiv-religiöser Grundlage zu
construieren, sind nur besondere Fälle der hier bezeichneten
allgemeinen. Regel.
Der oben genannte erste aller socialen Werte heißt die
Friedensgemeinschaft der durch ihn verbundenen Indivi-
duen. Der Zustand des positiven Rechts kann für keinen
Wert hergestellt werden, ohne daß er zugleich für jenen ersten
hergestellt wird oder bereits hergestellt ist: denn dieser be-
zeichnet, wie wir sahen, die notwendige Bedingung. aller wei-
teren soclalen Wertschöpfung.
Eine Genossenschaft, welche den Rechtszustand zum min-
desten hinsichtlich dieses ersten socialen Wertes durch irgend-
welche Mittel hergestellt hat und aufrecht erhält, heißt eine
staatliche. Genossenschaft oder kurz ein Staat. Der Staat ist
also wesentlich durch das Merkmal bestimmt, daß er die Mittel