Full text: Einleitung in die Philosophie

58 $ 5. Dogmatisraus und Empirismus. 
der Erfahrung. Sie verlangt nicht von uns, daß wir irgend- 
welche Behauptung auf Treu und Glauben hinnehmen; sie 
weist uns vielmehr die Merkmale der Erscheinungen auf, die 
wir zu beachten haben, um die Berechtigung der Erklärung 
zu erkennen — da die letztere eben in nichts anderem besteht, 
als in einer bestimmten Art begrifflicher Zusammenfassung 
dieser Merkmale. Indem wir auf diese Eigentümlichkeit der 
wissenschaftlichen Erklärung Bezug nehmen, dürfen wir sie in 
angemessener Weise als rein erfahrungsmäßige oder em- 
pirische Erklärung bezeichnen. 
Unter Empirismus wollen wir folgerichtig diejenige Art 
wissenschaftlichen Betriebes verstehen, welche die Forderung em- 
pirischer Erklärung im eben bezeichneten Sinne strenge festhält.!) 
Die unwissenschaftliche Erklärung stellt im Gegensatz zur 
empirischen Erklärung an uns die Forderung, daß wir gewisse, 
in der Erfahrung nicht aufgewiesene Voraussetzungen blind- 
lings annehmen: eben jene Voraussetzungen, durch welche eine 
neue, in den Merkmalen der Erscheinungen selbst nicht be- 
gründete Verknüpfung der letzteren bewirkt wird. Zu den 
empirischen Daten tritt hier ein neues, der Erfahrung fremdes 
Element hinzu, welches wir, weil es nicht an unser Wissen 
appelliert, sondern geglaubt werden will, als ein dogma- 
tisches Element bezeichnen. Erklärungen, weiche von solchen 
Elementen Gebrauch machen, werden wir folgerichtig dog- 
matische Erklärungen nennen. 
Von Dogmatismus im Gegensatze zum reinen Empirismus 
werden wir aber hiernach nicht etwa bloß in den Fällen zu 
sprechen haben, wo die Erklärung der Erscheinungen auf 
offenkundige Dichtung recurriert, sondern vielmehr überall, 
wo in den Erklärungen irgendwelche empirisch nicht völlig 
legitimierte Voraussetzungen eingeschlossen sind, mit anderen 
Worten, wo Begriffe zur Anwendung kommen, deren Bedeu- 
tung und Verwendung sich nicht in bekannter Weise und aus- 
schließlich auf rein erfahrungsmäßige Daten gründet. Denn 
1) Ich gebrauche das Wort Empirismus in diesem Buche durch- 
gängig in dem hier angegebenen Sinne, der mit den sonst vielfach 
üblichen Auslegungen desselben Wortes — so namentlich mit dem „Em- 
pirismus‘“ im Sinne J. St. Mills — nichts zu schaffen hat. 
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