46 & 6. Die Entwicklung der Philosophie.
zusehen, verliert dadurch den freien Blick sowohl für solche
Erscheinungen, die der Hypothese widersprechen, als auch für
die Erkenntnis neuer, der Hypothese fremder Beziehungen, die
sich zwischen jenem Tatsachenkreise und den Erscheinungen
anderer Gebiete finden. Die verderbliche Wirkung solcher
Vorurteile auf die Behandlung der letzten Probleme des KEr-
kennens wird sich uns in den unten folgenden historischen
Betrachtungen an mehr als einem Punkte offenbaren.
& 6. Die Entwicklung der Philosophie.
Die vorausgegangenen Betrachtungen haben gezeigt, daß
das Endziel des econsequenten Klarheitsstrebens nur in der
Elimination aller dogmatischen Bestandteile unseres Denkens
und in der rein empirischen Erklärung der Tatsachen be-
stehen kann.
Auf dieses empiristische Endziel erscheint jedoch die tat-
sächliche Entwicklung des philosophischen Denkens keineswegs
von vornherein gerichtet. Vielmehr treten uns dogmatische
Erklärungen nicht nur in den frühesten, sondern noch in den
spätesten Phasen der historischen und meist auch der indivi-
duellen Entwicklung des philosophischen Denkens entgegen.
Kaum an irgend einer Stelle in der Geschichte der Wissen-
schaften -— von der Entwicklung der Physik in den letzten
Decennien abgesehen — finden wir einen consequenten Ver-
such, die dogmatischen Begriffe der Ursache und Wirkung
aus der Erklärung der Erscheinungen zu eliminieren; noch eine
der neuesten philosophischen Schulen geht prineipiell von einer
Unterscheidung aus, die ohne jenes Begriffspaar nicht defimert
werden kann. Ebenso wird fast allgemein der Begriff der
materiellen Welt als ein selbstverständlich gegebener voraus-
gesetzt und benutzt. Und zwar werden die auf solche Begriffe
gegründeten dogmatischen Erklärungen regelmäßig nicht etwa
als bloße Durechgangspunkte betrachtet: die Frage nach der
Legitimation der dogmatischen Voraussetzungen wird durchaus
nicht überall nur übersehen oder hinausgeschoben, sondern
vielfach direct als ungereimt abgewiesen.