Full text: Einleitung in die Philosophie

8 6. Die Entwicklung der Philosophie. 
Praktische Probleme. 
Die Aufgabe der erkenntnistheoretischen Phase der Philo- 
sophie ist indessen keineswegs auf die Kritik der Grundbegriffe 
und Methoden wissenschaftlicher Erkenntnis beschränkt. Zu 
den erkenntnistheoretischen Problemen in dem hier bestimmten 
Sinne gehören vielmehr auch diejenigen Fragen, die ursprüng- 
lich von denjenigen der theoretischen Wissenschaft als prak- 
tische Fragen geschieden sind, hier aber mit jenen in die 
engste Verbindung, treten. 
Die praktischen Fragen — die Fragen nach unserem 
Sollen, nach der Berechtigung unserer Werturteile, speciell 
derjenigen über unsere KEntschlüsse und Handlungen -— werden 
in erster Linie durch traditionelle Normen, durch Rücksicht- 
nahme auf religiöse Überzeugungen oder auf die Billigung 
Anderer zur Entscheidung gebracht. Zu philosophischen 
Problemen werden diese Fragen erst da, wo unser Klarheits- 
bedürfnis sich durch jene anerzogenen Normen nicht mehr 
beruhigen läßt. Dasselbe Klarheitsbedürfnis, welches uns dazu 
treibt, im Laufe der Naturerscheinungen nach allgemeinsten 
Gesetzmäßigkeiten und letzten Erklärungen zu suchen, macht 
sich. auch auf dem Gebiete unserer Activität, unseres Wollens 
und Handelns geltend; jene erlernten Gesetze unseres Verhaltens 
erscheinen uns nicht als letzte Daten, geben uns keine end- 
gültige Beruhigung — wir fühlen uns geirieben, zu fragen, 
aus welchen Gründen die Menschen diese Handlungsweise 
billigen, jene mißbilligen, mit welchem Rechte die religiösen 
Überzeugungen für moralisch verbindlich gehalten werden, wo- 
her die Achtung entspringt, die ihnen gezollt wird. 
So sehen wir uns auch auf dem praktischen Gebiete zur 
Frage nach letzten Principien gedrängt: zur Frage nach 
dem, was unabhängig von aller Tradition als das Fundament 
praktischer Gesetzgebung betrachtet werden muß. 
Es ist keineswegs etwa bloß besondere philosophische 
Beanlagung, ein außergewöhnlich gesteigertes Klarheitsbedürfnis, 
was diese Fragen der praktischen Philosophie zeitigt. Mögen 
auch die traditionellen Normen unseres Handelns für die Be- 
antwortung der praktischen Fragen im ungestörten Ablauf 
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