$ 8. Ding und Erscheinung.
Unsere bisherigen Betrachtungen haben ergeben, daß sich
die Anfänge philosophischer Bestrebung notwendig auf dem
durch das vorwissenschaftliche Denken geschaffenen Boden be-
wegen müssen. . Die wissenschaftliche Entwicklung bleibt von
den Begriffen, die sie auf diesem Boden als fertig gegeben
vorfindet, so lange abhängig, bis die erkenntnistheoretische
Frage nach Ursprung und Bedeutung dieser Begriffe gestellt
und beantwortet jst.
Unter diesen „naturalistischen“ Begriffen ist für das naive
Denken weitaus der selbstverständlichste und unentbehrlichste
der Begriff des von unserer Wahrnehmung unabhängig
bestehenden, „objecetiven“ oder „realen“!) Daseins der
Welt und ihrer Dinge.
Die Probleme, welche aus der stillschweigenden Aner-
kennung und Voraussetzung dieses Begriffes. entspringen, sind
nicht nur die hartnäckigsten und schwierigsten, sondern zugleich
auch diejenigen, welche die Entwicklung der Philosophie in
erster Linie bestimmt haben, Fast alle übrigen naturalistischen
Begriffe werden sich uns als abhängig von dieser ersten Vor-
aussetzung unseres naiven. Denkens erweisen. Die Fragen, zu
welchen diese anderen Begriffe Anlaß geben, sind eben deshalb
gegenüber jenen erstgenannten Problemen secundäre Fragen:
sie lösen sich in der Tat ohne Schwierigkeit, sobald jene ihre
Lösung gefunden haben.
Zum Verständnis jener ersten fundamentalen Fragen ist
es vor allem notwendig, sich den Gegensatz klar zu machen,
1) In welchem Sinne ich diese Ausdrücke gebrauche, zeigt diese
Stelle und dieser ganze Abschnitt. Ich hoffe durch die Ausführungen
des Textes den Leser vor Mißdeutung der so vieldeutig in der Literatur
gebrauchten Termini hinreichend zu sichern.