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Die Kernpunkte, die gnomonische
Projektion und die Reziprokolprojektion
in der Photogrammetrie
Vorbemerkung.
Vor mehr als 50 Jahren haben G u i <1 о На иск 1 2 und Antonio Torroja 3 die
Kernpunkte in die Photogrammetrie eingeführt und trotz ihrer unbestreitbaren theo
retischen Wichtigkeit ist nur sehr wenig praktischer Gebrauch davon gemacht worden.
Der Grund hierfür liegt zumeist in äußeren Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten,
die für den Theoretiker nicht vorhanden, für den Praktiker aber ausschlaggebend sind.
Dazu gehören: Bestimmung und Gebrauch weitentfernter Schnittpunkte oder Л erbindungs-
linien, die Untunlidikeit des Zeichnens auf Glasnegativen, die strenge Berücksichtigung
des mit der Richtung veränderlichen Papiereinganges an Papierpositiven und ähnliches.
Man verzichtet eben lieber auf die Vorteile, die sich aus dem Gebrauch der Kernpunkte
für die Aufsuchung zusammengehöriger Bildpunkte und für die Kontrolle der Stand
punkte und Aufnahmerichtungen ergeben, sowie auf die Möglichkeit einer von Mes
sungen auf den Standpunkten unabhängigen Photogrammetrie, als daß mau jene lästigen
und zeitraubenden Umständlichkeiten in Kauf nähme. Für den normalen Betrieb der
Photogrammetrie, insbesondere auch für die Stereophotogrammetrie, die besonders feine
Messungen auf den Standpunkten voraussetzt, mag dieser Verzicht berechtigt sein und
der Verfasser möchte ja nicht den Anschein erwecken, als ob er mit den folgenden Aus
führungen einem leichtfertigen Messungsbetriebe das Wort redete, allein es gibt auch
beim besten Willen auf Reisen und in schwierigem Gelände Fälle genug, wo sich die
nötigen Bestimmungen auf den Standpunkten nicht durchführen ließen und man genötigt
ist, auf die Verarbeitung des photogrammetrischen Materiales zu verzichten, wenn solche
Unterlassungen eingetreten sind. Im nachfolgenden soll gezeigt werden, wie man die
erwähnten Schwierigkeiten durch Einführung geeigneter Projektionsmethoden vermeiden
kann und daß die Kernpunkte dann einer praktischen Anwendung fähig sind.
1. Die Kernpunkte.
Verlängert man die Verbindungslinie zweier Standpunkte über diese hinaus bis zum
Schnitt mit den zu den Standpunkten gehörigen Bildebenen, so entstehen die Kernpunkte,
von denen jeder als Bildpunkt des einen Standpunktes лот andern aus auf dessen Bild
ebene aufgefaßt werden kann. Nur ganz ausnahmsweise tvird ein solcher Kernpunkt
innerhalb des Bildformates liegen; er kann demnach in der Regel auch nicht auf
1 Aus: Internationales Archiv für Photogrammetrie, Bd. VI, Wien 1923, S. 22—35.
2 Journal für reine und angewandte Mathematik, Bände 95, 97, 98, 1883—1885
3 Sur une question de priorité à propos du „Théorème de Hauck'* par le Dr. Jos.
M. Torroja. Internationales Archiv für Photogrammetrie. 2. Bd., 1911. S. 105.