Full text: Erster Band (1. Band)

2. Abschnitt: Arbeit des Centralverbandes. A. Handels- u. Zollpolitik. 455 
Mit den nordischen Staaten Schweden, Norwegen, Dänemark und Hol— 
land hatte Deutschland Meistbegünstigungsverträge älteren Datums. 
Vor dem 1. Februar 1892 war die Lage Deutschlands in 
handelspolitischer Beziehung sehr günstig gewesen. Infolge seiner 
fast mit allen Staaten abgeschlossenen Meistbegünstigungsverträge 
näahm Deutschland theil an allen Vortheilen, die sich andere Länder 
durch ihre Konventionaltarife gegenseitig gewährten. Es hatte 
selbst aber fast vollständig freie Hand bezüglich seiner Tarifpolitik. 
Diese günstige Lage mußte mit dem 1. Februar aufhören. Im 
Hinblick auf den kommenden Zustand mußten sich die deutschen 
Verbündeten Regierungen die Frage vorlegen, ob sie gegenüber 
der auf wirthschaftlichem Gebiete mit zunehmender Bestimmtheit 
drohenden Abschließungspolitik der europäischen Staaten diesem 
Beispiel folgen, oder ob sie bei Zeiten Bedacht darauf nehmen 
sollten, der weiteren Entwicklung jener Tendenzen und ihrer 
praktischen Folgen vorzubeugen und demgemäß sich einen be— 
stimmenden Einfluß auf die Neugestaltung eines europäischen Zoll— 
systems im Sinne internationaler Verständigung zu sichern. Die 
Entscheidung fiel im letzteren Sinne aus. Es waren dabei 
folgende Erwägungen für die Regierungen maßgebend gewesen. 
Die Denkschrift, mit der die Handelsverträge im Reichstage ein— 
gebracht wurden, bestätigte ausdrücklich einen außerordentlichen 
Aufschwung der Industrie nach dem Wechsel der Handelspolitik im 
Jahre 1879. Dieser Aufschwung war in umfassender Weise statistisch 
nachgewiesen. Auf diesen Nachweis mußte von schutzzöllnerischer 
Seite ein um so größeres Gewicht gelegt werden, als in frei— 
händlerischen und freisinnigen Blättern fort und fort von dem 
Scheitern der Wirthschaftspolitik Bismarcks gesprochen wurde. 
Nachgewiesen war in der Denhkschrift gleichzeitig aber auch die 
große Zunahme der deutschen Ausfuhr wie des internationalen 
Güteraustausches Deutschlands überhaupt. Die Regierungen schlossen 
daraus, daß das eigene Wirtschaftsgebiet Deutschlands sich nicht 
selbst genüge, sondern daß Absatzgebiete im Auslande nothwendig 
seien, die der deutschen Regierung durch Meistbegünstigungsverträge 
aber nicht genügend gesichert erschienen. Die Regierungen erblickten 
das einzige Mittel zur Abhülfe in der Sicherung des rationellen 
Austausches der Güter durch den Abschluß von langfristigen 
Tarifverträgen, wobei freilich in gewissem Grade eine gegenseitige
	        
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