2. Abschnitt: Arbeit des Centralverbandes. B. Sozialpolitik. 379
stimmung gefunden hätten. Abgeordneter Barth glaubte diese
Zustimmung auf den Umstand zurückführen zu sollen, daß das bei
der Unfallversicherung eingeführte System der Zwangsversicherung
eine schablonenmäßige Regelung auch der Alters- und Invaliden—
versicherung bedinge, gegen die einwandfreie andere Vorschläge zu
machen außerordentlich schwer sei. Die linksliberale Partei hätte
sich von der Zweckmäßigkeit, ja Nothwendigkeit der Zwangsver—
sicherung noch nicht zu überzeugen vermocht. „Die Kritik, die wir
gegen diesen Zweig des Versicherungswesens richten“, so sagte der
Abgeordnete Barth, „gilt genau so, wie wir sie gerichtet haben
s. Zt. gegen die Unfallversicherungsgesetzgebung, vorzugsweise gegen
das Prinzip der zwangsweisen Regelung.“
Der Abgeordnete Grillenberger verurtheilte die „Grund—
züge“ von seinem sozialdemokratischen Standpunkte aus vollständig.
Er verwarf die Alters- und Invalidenversicherung gänzlich wegen
des Quittungsbuches. Der Redner verstieg sich hierbei zu der Be—
hauptung, daß „das ganze Altersversorgungsgesetz nichts anderes
sei als eine Maßregel, um auf einem Umwege das obligatorische
Arbeitsbuch einzuführen.“
Mit Recht erwiderte der Staatssekretär von Boetticher:
„Das wäre denn doch in der That ein Unternehmen, für welches
sich kaum auch nur der Schein einer Erklärung, geschweige denn
einer Rechtfertigung finden ließe, wenn man vom Reiche eine
Leistung von 50 Millionen Mark fordere, wenn man Arbeitgeber
und Arbeitnehmer ebenfalls mit je 50 Millionen Mark belasten
wollte, blos zu dem Zwecke, ein Arbeitsbuch zu haben. („Sehr
richtig!“ rechts, Heiterkeit.)“
Die vierte Session der siebenten Legislaturperiode des Reichs—
tages wurde am 22. November 1888 eröffnet. In der Thronrede
bezeichnete der Kaiser die Fürsorge der sozialpolitischen Gesetzgebung
als ein dauerndes Vermächtniß seines in Gott ruhenden Großvaters.
Er gebe sich nicht der Hoffnung hin, daß durch gesetzgeberische Maß—
nahmen die Not der Zeit und das Elend gänzlich aus der Welt
geschafft werden könne; aber Er erachte es doch als die Aufgabe
der Staatsgewalt, auf die Linderung vorhandener wirthschaftlicher
Bedrängnisse hinzuwirken. Die Schwierigkeiten, welche sich einer,
alle Arbeiter gegen die Gefahr des Alters und der Invalidität
schützenden Versicherung entgegenstellten, seien sehr groß, aber nicht