Full text: Zweiter Band (2. Band)

380 H. A. Bueck. Centralverband Deutscher Industrieller. 
unüberwindlich. Als die Frucht umfangreicher Vorarbeiten werde 
dem Reichstag ein Gesetzentwurf zugehen, der einen gangbaren Weg 
zur Erreichung des Zieles vorschlage. 
Dieser die Alters- und Invalidenversicherung betreffende Gesetz- 
entwurf ging dem Reichstag, wie bereits bemerkt, am Eröffnungs— 
tage zu. Die erste Berathung begann am 6. Dezember und nahm 
noch zwei weitere Sitzungen am 7. und 8. Dezember 1888 in An— 
spruch.“) Die Erörterung wurde von dem Staatssekretär des Innern, 
Staatsminister von Boetticher, eröffnet. In großen Zügen legte 
er die Ziele und Zwecke des Gesetzes dar und widerlegte ebenso die 
bekannt gewordenen Einwendungen und Angriffe, insbesondere die 
Behauptung der Sozialdemokraten, daß es sich nur um eine Aus— 
gestaltung der Armenpflege handle. Um jeden Zweifel darüber zu 
zerstreuen, daß es in der Absicht der Verbündeten Regierungen 
gelegen habe mehr zu thun, als nur die Armenpflege zu verbessern, 
führte der Staatssekretär die Worte an, die der Reichskanzler Fürst 
von Bismarck in der Sitzung vom 2. April 1881 über die Tendenz 
der sozialpolitischen Vorschläge gesprochen hatte. Sie lauteten: „Vor 
dem Verhungern ist auch der invalide Arbeiter durch unsere heutige 
Armengesetzgebung geschützt. Nach dem Landrecht wenigstens soll 
Niemand verhungern; ob es dennoch geschieht, weiß ich nicht. Das 
genügt aber nicht, um den Mann mit Zufriedenheit auf sein Alter 
und seine Zukunft blicken zu lassen, und es liegt auch in diesem 
Gesetz die Tendenz, das Gefühl menschlicher Würde, welches auch 
der ärmste Deutsche meinem Willen nach behalten soll, wach zu er— 
halten, daß er nicht rechtlos als reiner Almosenempfänger 
dasteht, sondern, daß er ein Peculium an sich trägt, über 
das Niemand außer ihm verfügen kann, und das ihm auch 
nicht entfremdet werden kann, über das er als Armer selbst 
verfügen kann, und das ihm manche Thür leichter öffnet, 
die ihm sonst verschlossen wird und ihm in dem Hause, in 
dem er Aufnahme gefunden hat, eine bessere Behandlung 
sichere, wenn er den Zuschuß, den er mit hereinbringt, 
aus dem Hause auch wieder entfernen kann.“ 
„Diese goldenen Worte,“ so fuhr der Staatssekretär von 
Boetticher fort, „sollte sich die Arbeiterwelt gegenwärtig halten 
) Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 
VII. Legisl-Periode, 4. Session 1888/89, Band 1, S. 189 —163, 165—197 
und 199 —230.
	        
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