2. Abschnitt: Arbeit des Centralverbandes. B. Sozialpolitik. 465
Erhebungen in den Jahren 1886, 1887 und 1888 hervorgegangene
Statistik beigegeben. Sie brachte den Nachweis, daß der den
Krankenkassen erwachsende Betrag für ärztliche Behandlung,
Arznei und sonstige Heilmittel durchschnittlich auf den Kopf der
Kassenmitglieder berechnet, höher war, als der Betrag des baar
gezahlten Krankengeldes. Damit war erwiesen, daß die Hälfte des
Mindestbetrages des Krankengeldes einen völlig unzulänglichen Er—
satz für die Naturalleistungen der anderen Kassen bildete. Dabei
war weiter zu berücksichtigen, daß der einzelne erkrankte Arbeiter,
der sich die ärztliche Behandlung und Arznei mittels des Kranken—
geldes selbst zu verschaffen hatte, dafür regelmäßig ungleich mehr
aufwenden mußte, als die Kassen dafür zu zahlen haben
würden. Der Vorschlag, dieses Mißverhältniß durch einen
weiteren Zuschlag zu dem Krankengelde zu beseitigen, stieß auf
das Bedenken, daß selbst nicht ein Zuschlag, der das Kranken—
geld auf den vollen Betrag des ortsüblichen Tagelohnes
brächte, zu einem wirklich ausreichenden Ersatz der Natural—
leistung führen würde. Diesem Auskunftsmittel standen aber
noch ungleich schwerere Bedenken entgegen. Es wurde als eine
der bedeutsamsten Wirkungen des Krankenkassengesetzes anerkannt,
daß infolge der Gewährung freier ärztlicher Hilfe und Arznei,
die ärztliche Behandlung auch in solchen Kreisen der Arbeiter—
bevölkerung rechtzeitig eintrete, in denen sie bis dahin, infolge
von Mittellosigkeit oder Gleichgiltigkeit der Nächstbetheiligten, nur
im höchsten Nothfalle und daher meistens zu spät eingetreten
sei. Die außerordentliche Bedeutung der in Rede stehenden Be⸗
stimmung für die öffentliche Gesundheitspflege erforderte daher
deren Aufrechterhaltung, trotz der nicht unerheblichen mit ihr ver—
bundenen Schwierigkeiten für die Krankenkassen.
Hiernach mußte es aber umsomehr unzulässig erscheinen, als
Ersatz für das gesetzliche Versicherungsverhältniß die Mitgliedschaft
bei einer Kasse anzuerkennen, welche an die Stelle der freien
ärztlichen Behandlung und Arznei einen im voraus bestimmten,
erfahrungsgemäß durchaus unzureichenden Geldbetrag gewährte, die
es ferner dem Empfänger überließ, in welchem Umfange er sich
dafür die ärztliche Behandlung und Heilmittel verschaffen konnte
oder wollte. Die in weiteren Kreisen der versicherungspflichtigen
Bevölkerung und besonders bei den jüngeren Arbeitern vorhandene
geringe Werthschätzung einer rechtzeitigen und ausreichenden ärzt—
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