Full text: Zweiter Band (2. Band)

734 H. A. Bueck. Centralverband Deutscher Industrieller. 
subsidiäre Charakter aber sei bei der Durchführung des Kranken— 
kassengesetzes völlig verloren gegangen, indem die Gemeinde-Kranken— 
versicherung von vornherein als die gegebene Organisation ange⸗ 
sehen worden sei. Im Jahre 1897 seien im Deutschen Reich 
22477 Träger der Krankenversicherung mit 7944 820 Versicherten 
vorhanden gewesen. Von den Kassen waren erheblich mehr als 
ein Drittel Gemeinde-Krankenversicherungen, auf welche rund ein 
Sechstel der Versicherten angewiesen war. Diese Entwickelung könne 
im Hinblick auf die wesentlich geringeren Leistungen der Gemeinde— 
Krankenversicherung, nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen 
haben. Diese ungenügenden, geringen Leistungen, denen die Be— 
schränkung des Beitrages auf 2 pCt. des ortsüblichen Tagelohnes 
entspräche, könnten nur durch den subsidiären Charakter der 
Krankenversicherung erklärt werden. 
Nicht zu rechtfertigen sei ferner, daß die Gemeinden aus ihren 
Mitteln, also aus den Mitteln der Gesammtheit der Steuerzahler, 
die Kosten der Verwaltung für die Versicherung eines immerhin 
nur geringfügigen Bruchtheiles ihrer Einwohner trügen oder zu 
Zahlungen verpflichtet seien, die nicht selten sich in Zuschüsse ver— 
wandelten. Die Belastung mit den Verwaltungskosten der Gemeinde— 
Krankenversicherung und mit der Verpflichtung zur Zahlung von 
Vorschüssen sollte nach Ansicht des Gesetzgebers die Gemeinden zur 
Errichtung von Ortskassen veranlassen. Nach dem jetzigen Um— 
fange der Gemeinde-Krankenversicherung gewinne es fast den An— 
schein, als ob diese Ausgaben der Gemeinden zu Gunsten Einzelner 
als etwas selbstverständliches angesehen würden. Bei Errichtung 
allgemeiner Ortskrankenkassen für den Bezirk einer oder mehrerer 
Gemeinden und für alle versicherungspflichtigen Personen würde 
das Bedürfniß für eine subsidiäre Einrichtung fortfallen. 
Zur Beseitigung der Gemeinde-Krankenversicherung würde 
man sich aber kaum entschließen können, wenn die Einrichtung der 
Verwaltung der Ortskrankenkassen so bliebe wie sie nach dem 
bestehenden Gesetze sei, wenn die Arbeiter in der Verwaltung die 
Oberhand behielten und nicht dem Mißbrauch der Kassenver— 
waltung zu politischem Zwecke und zur Terrorisirung der 
Versicherten, der Aerzte, der Apotheker und der sonstigen 
Lieferanten der Kasse energisch gesteuert würde. Das 
Bedürfniß nach einer solchen Reform sei an der Hand der 
Erfahrungen so allgemein anerkannt, daß von einer näheren
	        
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