Die Schule der Niederländer.
wie der Psalm: Domine, ne in furore arguas me für vier—
stimmigen gemischten Chor, oder das fünfstimmige Miserere, das
ergreifende RStabat mater und vieles aus den Marienmotetten
besitzen Ewigkeitswert.
Weitere tüchtige Schüler Ockeghems waren Jakob Obrecht
(1450 - 1505) und Pierre de la Rue ( 1518). Auch Josquin hat
Schüler gebildet, unter denen Jean Moulon hervorragt, der wieder
der Lehrer eines für die Entwickelung hochbedeutenden Niederländers
wurde, des Adrian Willaert (1490 — 1562), der die heimische Kunst
nach Italien brachte. Aus der großen Zahl der niederländischen
Meister nenne ich noch besonders Jakob Arcadelt (um 1514 - 1557),
den Verfasser klangschöner Madrigale, Cyprian van Rore (1516—
1565) und Clemens non Papa (g. 1500 bis g. 1558), bekannt durch
seine dreistimmigen Psalmen über niederländische Volkslieder, die
„Souter liedekens“
überragt aber werden alle diese durch Orlandus Lassus, der
größte Meister nicht nur der niederländischen Schule, sondern einer
der Größten aller Zeiten. Er wurde geboren 1532 in Mons im Henne—
gau. Nach vielen großen Reisen und Aufenthalten in Italien und
Frankreich wird er 1562 Kapellmeister des Herzogs Albert von
Bayern in München und weilte hier mit Ehren überhäuft bis
zu seinem Tode. Die Zahl der Werke Orlandos ist eine unglaublich
große. Es sind an 50 Messen, gegen 1200 Motetten, 100 Magnifikats,
Lamentationen und Psalmen, außerdem eine Fülle weltlicher Kom—
positionen, italienische Madrigale und Villanellen, französische Chan—
sons und eine große Anzahl deutscher Lieder. Die italienischen
Stücke sind von einfacher Klarheit des Satzes und warmer Melodik,
die französischen voll leichter Anmut, die deutschen aber von dem köst—
lichsten Humor durchweht und voll entzückender Malerei. Auch die
geistlichen Werke zeigen die reiche Mannigfaltigkeit des Stils. Seine
Magnifikats sind wie die von zartem Farbenschmelz überhauchten Ma—
donnen Boticellis, während die Bußpsalmen von dem ernsten, düstern
Pathos des deutschen Grünwald in dem erschütternden Kruzifixus des
Isenheimer Altars getragen werden. Seine Messen sind über einen
Cantus firmus gebaut, der teils dem gregorianischen Gesang, meist
und mit offenbarer Vorliebe aber dem weltlichen Volks—
liede entnommen ist. Diese Art ist, im Gegensatz zur ars novya mit
frei komponierten Stimmen, allen Niederländern eigen; neben einer
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