3 Die Tonpysychologie.
der reinen Stimmung basierenden Tonarten aufweisen mit ihren
großen und kleinen Ganz- und Halbtönen.
Wie aber ist es um die Charakteristik der Tonarten in unserer
modernen Musik bestellt?
Aus der Reihe der Kirchentöne haben wir nur zwei, das Jonische
und Aolische beibehalten. Ersteres zu unserem Dur, letzteres zu
unserm Moll umgebildet. An die Stelle der reinen Stimmung haben
wir die temperierte (s. S. 143) gestellt, die allen Tönen dieselbe
Weite verleiht. Zwar kann ich die Tonarten transponieren und von
einem andern Ton, unter Beibehaltung der Halbtonlage aus be—
ginnen. Das ändert aber an den Intervallen nicht das geringste. Ob
ich ein Stück in C-Dur oder Des oder D-Dur spiele, ist akustisch das—
selbe Trotzdem sprechen wir auch hier von einem
Charakter der Tonarten. Wir sagen z. B. Des-Dur ist eine
feierliche Tonart. Man könnte antworten, der Hörer kennt eine Reihe
Stücke in Des-Dur dieses Charakters und verknüpft nun bei jedem
neuen diese Vorstellungen mit der Tonart Des-Dur. Oder: der Hörer
ohne absolutes Gehör merkt ja gar nicht den Unterschied, der Ein—
druck des Stückes leidet deswegen für ihn keineswegs. Wie kommt es
aber, daß wir davor zurückschrecken, z. B. Beethovens As-Dur-Sonate
op. 26 in A⸗-Dur zu spielen? Wir können sie uns gar nicht in
A⸗-Dur vorstellen. Und doch ist jedes Intervall genau das gleiche ge—
blieben. Die Transposition um Ton kann nicht wesentlich sein.
Das Problem wird noch komplizierter, wenn wir folgendes bedenken.
Ein Musiker spielt das Stück auf einem Klavier, das Ton zu tief
steht, wird er es dann transponieren? Keineswegs, er wird die vorge—
schriebene Tonart wählen. Maßgebender als der Hörer ist der
Komponist selbst. Dieser aber verbindet mit seinem Werke stets
eine ganz bestimmte Tonart. Er kann sich sein Stück gar
nicht anders denken als in dieser, von ihm gleichsam miterfundenen
Tonart. Hugo Wolf konnte ordentlich böse werden, wenn man ihm
zumutete, eines seiner Lieder in einer andern als der Originaltonart
zu spielen. Gegen diese Tatsache ist nicht anzukommen. Wir fühlen
ganz bestimmt, daß wir uns Beethovens Eroica nicht in E-Dur statt
in Es-Dur vorstellen können, andererseits aber wissen wir, daß
alle Halb- und Ganztöne einander gleich sind, ohne alle die feinen
Unterschiede der reinen Skala. Aber, ist mit der Annahme unserer
temperierten Leiter auch unser inneres Hören temperiert geworden?
Wir müssen annehmen, daß die Fasern des Cortischen Organs
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