— 2 [179. 180.
IV. Die Seelenfrage.
Hiermit hätten wir denn den Leib oder die materiellen Verhältnisse
der Erde betrachtet, vergleichungsweise mit den unsern. Die Seele kam
dabei noch nicht in Betracht; ja wir sind die ganze Erde nach allen
Richtungen durchlaufen, ohne dabei auf Seele zu stoßen. Es könnte
wirklich das Ansehen haben, die Seele fehlte. Aber rufen wir uns noch—
mals zurück, daß wir andre als unsre eigene Seele überhaupt nicht sehen
können. Also beginnt nun erst die Frage, ob wir nicht doch in dem,
was wir sehen können, die Zeichen der an sich unsichtbaren Seele zu
erblicken vermögen.
Was aber haben wir gesehen? Fassen wir es nochmals kurz
zusammen.
Die Erde ist ein ebenso in Form und Stoffen, in Zweck- und
Wirkungsbezügen zum Ganzen einheitlich gebundenes, in individueller
Eigentümlichkeit sich in sich abschließendes, in sich kreisendes, andern
ähnlichen, doch nicht gleichen Geschöpfen relativ selbständig gegenüber—
tretendes, unter Anregung und Mitbestimmtheit durch eine Außenwelt
sich aus sich selbst entfaltendes, eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit
teils gesetzlich wiederkehrender, teils unberechenbar neuer Wirkungen
aus eigener Fülle und Schöpferkraft gebärendes, durch äußere Nötigung
hindurch ein Spiel innerer Freiheit entwickelndes, im einzelnen wechselndes,
im ganzen bleibendes Geschöpf wie unser Leib. Oder vielmehr sie ist
es nicht nur ebenso, sondern unsäglich mehr; ist alles das ganz, wovon
unser Leib nur ein Glied, alles das dauernd, was unser Leib nur im
Vorbeigehen, verhält sich dazu wie ein ganzer Baum zum einzelnen
Schoß, ein verwickelter Knoten zur einzelnen Verschlingung darin, ein
dauernder Leib zu einem vergänglichen kleinen Organe.
Wenn aber die Erde in all dem uns nicht nur gleich steht, sondern
uns überbietet, sich uns überordnet, uns aus und an sich hat, so kann,
insoweit wir überhaupt aus Leiblichem auf Geistiges zu schließen haben,
die Frage nicht mehr sein, welches Zeichen einer selbständigen, für sich
seiende Seele wir in der Erde finden, sondern welches wir an ihr
vermissen, ja welches wir nicht in eminenterem Grade an ihr als an
uns finden.
Ist nicht auch meine Seele ein in Form und Inhalt, in Zweck—
und Wirkungsbezügen zum Ganzen einheitlich gebundenes, in individueller
110