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schen Ränken, in religiösen Zänken, in gelehrten Thorheiten, in haͤus⸗
lichen Zwistigkeiten, kurz in Erbärmlichkeiten, Nichtswürdigkeiten und
Absurditäten aller Art! Warum bringen wir aber so unser Leben zu?
Weil wir zu wenig? nein! weil wir zu viel Leben, zu viel Zeit haben.
Wie glücklich brächten viele Menschen ihre Tage hin, wenn der Tag
um die Hälfte kürzer wäre! Wie viele werden im Alter förmlich kin⸗
disch! wie Viele überleben sich schon in jüngern Jahren, sowohl in
geistiger, als moralischer Beziehung! Wozu sollten sie also diesen
Ueberschuß verwenden, als dazu, das Leben zu vertändeln oder sich
und Andern zu verbittern? Ehe wir uns daher fragen, ob wir eines
andern Lebens würdig sein, wollen wir uns erst fragen, ob wir die—
ses Lebens würdig sind.
„Die Kamtschadalen glauben, daß Diejenigen, welhe hier arm
waren, in der andern Welt reich, die Reichen hingegen arm sein wer⸗
den, damit zwischen den beiden Zuständen in dieser und jener Welt eine
gewisse Gleichheit entstehe. Eine jede andere Vergeltung des Guten
und Boͤsen halten sie für unnöthig. Wer auf dieser Erde gestohlen,
Ehebruch getrieben habe u. s. w., der sei dafür schon hinlänglich ge—
straft, entweder geprügelt oder erschlagen worden, habe wenigstens
keine Freunde gefunden, und sei daher hülflos und ohne Vermögen
geblieben.“ Beschämen diese Kamtschadalen nicht die Christen, welche
außer den Strafen, die der Mensch und die Natur auf das Laster gesetzt
haben, noch obendrein einen göttlichen Criminalrichter bedürfen, und
offen bekennen, daß sie „huren und buben, rauben und morden““ wür⸗
den, wenn ihnen nicht die Pfennige, die sie, aber nicht aus Liebe, son⸗
dern mit Widerstreben, nur auf Commando des Herrn oder der Pflicht,
ihren Mitmenschen aufopfern, im Himmel hundertfältig ersetzt würden?
O Christenthum, Christenthum! muß ich abermals ausrufen, Du bist
der rohste, gemeinste Egoismus unter dem Scheine der aufopferndsten