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in dunkle Symbole und konfuse Vorstellungen verbergende Geist, das
reine, einfache, gerade Wort der Wahrheit, fern von aller orientalischen
Bilderpracht. Nur die Ethik erzeugt, wie die Geschichte beweist, offene,
freie, redliche, edle, widerspruchslose, natürliche, wahrhafte, ächt—
religiöse Charaktere. Friedrich war ein religiöser Fürst. Die Staats—
religion, die Religion des Regenten ist allein die heilige Idee der
t Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit ist eine unendliche Tugend. Ein
gerechter Fürst ist per se ein frommer Fürst, denn er subordinirt sich
demüthigst der heiligen Idee und Pflicht der Gerechtigkeit, und die Ge—
rechtigkeit ist nichts anderes, als die der Vernunft konforme, die allge—
meine Liebe, die Liebe aber zur Menschheit die einzig wahre
Gottesliebe, wie dies die Wesen aller Zeiten gewußt und gesagt
haben. Aber ein frommer Fürst ist deßwegen, weil er fromm ist, noch
nicht ein gerechter und guter Fürst; ja er vergißt und vernachlässigt nur
zu leicht über der Sorge für sein Heil, über seinen Pflichten gegen
Gott die untergeordneten, gemeinen Pflichten gegen seine Unterthanen,
seinen Staat. Schon Cosimo de Medici sagte, daß sich die Staaten
nicht mit dem Paternoster in der Hand behaupteten*). Die Theologie,
die sich über die Ethik stellt, ist eben so verderblich den Staaten, dem
Leben, wie den Wissenschaften. Wer etwas über die Pflicht setzt,
der hat schon in seinem Sinne die Pflicht überschritten. Was der
Mensch nicht mit und in dem Sinne des Höchsten betreibt, das hat
e für ihn im Grunde seiner Seele nur die Bedeutung von Allotrien,
h n dem fehlt der Segen der Wahrheit, die Macht der Gottheit. Nur wem
die Ethik selbst die Theologie ist, die Pflichten gegen die Menschheit die
Pflichten gegen Gott sind, nur in dem ist die Pflicht eine göttliche
Nothwendigkeit, ein Urtheil in letzter Instanz, eine Infallibilität, eine
vis primitiva, eine unauflösliche Bindekraft, eine Entelechie des Willens,
*) Nachiavelli Istor. Fiorent. Lib. VII. p. 250. Opere di N. M. V. UV.
Milano 1804,