Full text: Pierre Bayle (6. Band)

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der Verherrlichung seiner Kirche bestimmt, die Kunst, nicht die Kirche. 
Der Künstler überwindet seinen Glauben, indem er die Gegenstände 
seines Glaubens zu Gegenständen der Kunst macht. Die Kunst ist nur 
Kunst, wo sie sich Selbstzweck, wo sie absolut frei, sich selbst über— 
lassen ist, wo sie keine höheren Gesetze kennt, als ihre eignen, die Gesetze 
der Wahrheit und Schönheit. Der Künstler unterwirft nicht die Kunst 
der Religion, sondern die Religion der Kunst. Das Religiöse in seinem 
Kunstwerk hat nur untergeordnete Bedeutung: das Wesen ist das 
Wahre, das Schöne. Der frommgläubige Katholik, der keinen von 
seinem katholischen Sinn und Glauben unterschiedenen, ästheti— 
schen Sinn hat, erbaut sich auch an dem schlechtesten Heiligenbilde, 
fällt demüthig vor dem schlechtesten Crucifir nieder; denn es ist ihm, 
was es als ein religiöses Bild sein soll, ein Erinnerungszeichen an 
diesen Heiligen, diesen Christus, der ihm hier sinnlich vergegenwärtigt 
wird. Die Kunstbeschaffenheit ist ihm gleichgültig und an sich 
auch für die Religion gleichgültig. Ja, nur solche Bilder, 
welche keinen Kunstwerth haben, sind Bilder im Sinne und Geiste des 
aͤchten Katholicismus, eben deßwegen, weil sie bloß religiöse, aber keine 
Kunstbedeutung haben, weil sie den Menschen nicht abziehen von der 
frommen Betrachtung des heiligen Gegenstandes, nicht den Sinnen 
schmeicheln, sondern vielmehr, mit Ekel und Widerwillen an allem 
Irdischen und Menschlichen ihn erfüllend, nur hinauf zum Himmel 
seine Blicke ziehen. Ein Heiligenbild dagegen, das Kunstwerth hat, 
das zieht das Auge auf sich als Kunstwerk, das stellt, so zu sagen, 
nur sich, nicht den Heiligen dar, das ist kein Augenglas, durch das 
wir nur den frommen Gegenstand erblicken, sondern ein Diamant, der 
mit eignen Farben funkelt, der für sich selbst, daher auch den Nicht— 
Katholiken entzückt. Vor einem religiösen Bilde kann nur der Nicht— 
kenner eine rein religiöse Andacht empfinden; der Kenner empfindet es 
nur oder doch zugleich als ein ästhetisches Werk. Wohl ist der Eindruck 
eines Madonnenbilds ein heiliger Eindruck ; aber ihr täuscht euch, wenn
	        
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