Full text: Pierre Bayle (6. Band)

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Haar herausbringe. Ich heirathe so lange nicht mit Gottes Willen, 
so lange ich nicht diese Person — denn das ist die Hauptsache — mit 
Gottes ausdrücklichem Willen heirathe. Ich entscheide mich so lange 
aus mir selbst zur Heirath, so lange ich mich aus mir selbst zu dieser 
Person entscheide, denn ich hätte mich vielleicht nie verheirathet, unge⸗ 
achtet des Gebotes: Mehret euch, wenn ich nicht diese Person kennen 
gelernt hätte. Der Grund der Verheirathung Luthers, der Verwer— 
fung des Cälibats überhaupt, war daher nicht die Bibel, sondern der 
gesunde Menschenverstand, die philosophia naturalis, die an der Refor— 
mation einen größern Antheil hatte, als Manche glauben wollen. 
Aber gerade dadurch machte sich der Protestantismus eines um so 
größeren Widerspruchs schuldig, daß er die Ein- und Ansprüche der 
Vernunft nicht berücksichtigte, unter dem Vorwande, daß sie in geist⸗ 
lichen Dingen kein Wort mitzusprechen haben, weil diese über ihren 
Horizont gingen, während er doch die Ein- und Ansprüche der Natur s 
anerkannte; denn derselbe Grund, welcher für oder gegen die Ein⸗ ir 
setzung der Natur in ihre ursprünglichen Rechte sprach, derselbe sprach 
für oder gegen die Befreiung der Vernunft. 11) Wenn du die Vernunft 
unter die Herrschaft des Glaubens gefangen nimmst; warum nimmst 
du denn nicht auch deine Natur unter die Herrschaft der christlichen 
Tugend gefangen? Wenn du die Vernunft verwirfst, die nichts anderes 
als die geistige Natur ist, weil ihr die Glaubenslehren unbegreifliche 
Geheimnisse sind, warum verwirfst du denn nicht auch die Natur, die 
nichts anderes ist als die körperliche Vernunft und vielleicht nur deß⸗ 
wegen sich gegen das Cälibat empört, weil ihr die christliche Tugend t 
überhaupt, so auch die Tugend der Ehelosigkeit ein zu hohes und n 
deßwegen widerwärtiges Geheimniß ist? Wenn der Christ nicht den 
praktischen Bedürfnissen widerspricht, warum soll er denn den theoreti⸗ 
schen Bedürfnissen widersprechen, die doch eben so nothwendig, eben so 
unabweislich, eben so von uns unabhängig in uns sind, als die prakti— 
schen Bedürfnisse?
	        
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