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Allerdings ist der Protestantismus dadurch hinlänglich entschuldigt
— wenn anders eine welthistorische Erscheinung einer Entschuldigung
bedarf — daß überhaupt in der Entwicklung der Menschheit sich die
praktischen Bedürfnisse eher regen, als die theoretischen, eher daher auch
befriedigt werden müssen, als diese, und daß er zunächst, in Beziehung
auf seine Zeit, auch genug für die Freiheit der Intelligenz gethan, indem
er einen unendlichen Wust von geist- und gemüthbeschwerendem Aber—
glauben über Bord geworfen. Aber der Grund mag sein, welcher er
wolle: der Protestantismus war in theoretischer Beziehung eben so
wenig, als der Katholicismus in praktischer, ein Princip des Friedens,
der Versöhnung. Der Katholik hatte noch sogar diesen Vorzug vor
dem Protestanten voraus, daß er, um seinen Kampf zu lindern oder
gar zu stillen, zu solchen Mitteln seine Zuflucht nehmen konnte, wie
Origenes, der sich selbst entmannte, wie Hieronymus, der in die Ein⸗
samkeit in dunkle Höhlen floh, wie der heilige Franciscus, der die Gluth
seiner Begierden in der Kälte des Schnees löschte, wie Paskal, der
einen stachlichen Gürtel um den Leib trug, um jede ihm mißfällige
Regung sogleich in ihrer Geburt zu ersticken. Die Vernunft dagegen
ist an ein Organ gebunden, dessen Verlust mit dem Verlust des Lebens,
oder wenigstens, wenn gelindere Mittel angewandt werden, mit dem
Verlust der Besinnung, des Bewußtseins, der Menschheit im Menschen
verbunden ist. Der Protestant hat kein äußeres, kein natürliches Mittel
zur Linderung seiner Kämpfe und Seelenleiden: er muß zu künstlichen
Mitteln, zu Produkten seiner eigenen Erfindungsgabe seine Zuflucht
nehmen: er ist sich selbst anheim gegeben — ein Patient, der sein eigner
Arzt sein soll. Der Arme! er hat zu seiner Heilquelle nur die Quelle
des Uebels. Mag er sich nämlich auch noch so sehr durch Gebet und
3 Bibellesen beschwichtigen und stärken: er kann doch nicht unterlassen,
hn er muß zuletzt immer wieder die Zweifel, die aus der Vernunft kommen,
pruhfl⸗ durch Gründe, die gleichfalls aus der Vernunft kommen, zu beruhigen
suchen, um so die Vernunft durch sich selbst zu taͤuschen und gleichsam