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We heit nur die Abhängigkeit von meinem eigenen Wesen, von meinen
eigenen Trieben, Wünschen und Interessen. Das Abhängigkeitsgefühl
ist daher nichts Andres als ein indirectes, oder verkehrtes oder negatives
Selbstgefühl, kein unmittelbares allerdings, aber ein durch den Ge—
genstand, von dem ich mich abhängig fühle, vermitteltes Selbstgefühl,
Abhängig bin ich ja nur von den Wesen, die ich bedarf zum Behufe
meiner Existenz, ohne die ich nicht kann, was ich können will, die die
n Macht haben, mir zu gewähren, was ich wünsche, was ich bedarf, aber
122 nicht selbst die Macht habe, mir zu gewähren. Wo kein Bedürf—
m— niß, ist kein Abhängigkeitsgefühl; bedürfte der Mensch die
dnl Natur nicht zu seiner Existenz, so würde er sich nicht von ihr abhängig
9 fühlen, so würde er sie folglich auch nicht zum Gegenstande religiöser
n. 9 Verehrung machen. Und je mehr ich einen Gegenstand bedarf, desto
abhängiger fühle ich mich von ihm, desto mehr Macht hat er über mich;
aber diese Macht des Gegenstandes ist selbst eine abgeleitete,
eine Folge von der Macht meines Bedürfnisses. Das Be—
dürfniß ist eben so der Knecht, als der Herr seines Gegenstandes, eben
so demüthig, als hoch⸗ oder übermüthig; es bedarf den Gegenstand, es
ist unglücklich ohne ihn; darin liegt seine Unterthänigkeit, seine Hinge—
bung, seine Selbstlosigkeit; aber es bedarf ihn, um sich an ihm zu be⸗
friedigen, um ihn zu genießen, um ihn zu seinem Besten zu verwenden;
darin liegt seine Herrschsucht oder sein Egoismus. Diese widerspre⸗
chenden oder entgegengesetzten Eigenschaften hat auch das Abhängigkeits—
gefühl an sich, denn dieses ist nichts Andres, als das zum Bewußt—
sein oder Gefühl gekommene Bedürfniß eines Gegen—
standes. So ist der Hunger nichts als das mir zum Gefühl und
darum zum Bewußtsein kommende Nahrungsbedürfniß meines Magens;
nichts Andres also, als das Gefühl meiner Abhängigkeit von Nahrungs—
mitteln. Aus dieser amphibolischen, d. i zweideutigen und wirklich
zweiseitigen Natur des Abhängigkeitsgefühls erklärt sich auch die That—
sache, über die man sich so oft verwundert hat, weil man sich keinen
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