Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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Wesen, die sie verzehren, als religiöse Gegenstände verehren, ist daher 
so wenig eine seltsame und verwundersame, daß sie vielmehr die Natur 
des religiösen Abhängigkeitsgefühles uns nach seinen beiden entgegen— 
gesetzten Seiten klar und offen vor die Augen stellt. Der Unterschied 
zwischen dem christlichen und heidnischen Abhängigkeitsgefühl ist nur 
der Unterschied zwischen den Gegenständen desselben, der Unterschied, 
daß der Gegenstand des heidnischen ein bestimmter, wirklicher, sinnlicher, 
der Gegenstand des christlichen — abgesehen von dem fleischgewordenen, 
eßbaren Gott — ein unbeschränkter, allgemeiner, nur gedachter oder 
vorgestellter, daher kein körperlich genießbarer oder nutzbarer ist; aber 
gleichwohl ist er eben so gut ein Gegenstand des Genusses, eben weil 
für den Christen ein Gegenstand des Bedürfnisses, des Abhängigkeits— 
gefühles, nur Gegenstand eines Genusses anderer Art, weil auch Ge— 
genstand eines Bedürfnisses anderer Art; denn der Christ begehrt von 
seinem Gotte nicht das sogenannte zeitliche, sondern ewige Leben, be— 
friedigt in ihm nicht ein unmittelbar sinnliches oder körperliches, sondern 
u ein geistiges, gemüthliches Bedürfniß. „Wir gebrauchen oder be— 
d nutzen, sagt der Kirchenvater Augustin in seiner Schrift vom Staate 
Gottes, die Dinge, die wir nicht um ihretselbst willen, sondern um 
b. etwas Anderen willen verlangen und suchen, aber wir genießen, 
was wir auf nichts Anderes beziehen, was durch sich selbst er— 
dan götzt. Das Irdische ist daher ein Gegenstand der Benützung, des 
sund n Usus, das Ewige, Gott aber ein Gegenstand des Fructus, des Genus— 
e hn ses.“ Aber wenn wir auch diesen Unterschied gelten lassen, ja ihn zum 
Eynh Unterscheidungsmerkmal des Heidenthums und Christenthums machen, 
msheinun · so daß dort die Gegenstände der Religion, die Götter Gegenstände des 
glit el⸗ Nutzens, des Usus sind, hier der Gegenstand nur ein Gegenstand des 
Genusses ist, so haben wir doch auch hier am Christenthum dieselben 
MNMnr odet Erscheinungen, dieselben Gegensätze, die wir in der Natur des Bedürf⸗ 
nisses, des Abhängigkeitsgefühles aufzeigten, die aber den Christen nur 
in der Religion der Heiden, nicht in der ihrigen auffallen; denn der
	        
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