Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

111 
was sich übrigens von selbst versteht, der Gang in der Religionsge— 
schichte auch meinem Gang in der Psychologie, in der Philosophie, in 
der Menschheitsentwickelung überhaupt entspricht. Wie mir die Natur 
der erste Gegenstand der Religion, so ist mir auch in der Psychologie, 
in der Philosophie überhaupt das Sinnliche das Erste; aber das Erste 
nicht nur im Sinne der speculativen Philosophie, wo das Erste das be⸗— 
deutet, worüber hinausgegangen werden muß, sondern das Erste im 
Sinne des Unableitbaren, des durch sich selbst Bestehenden und Wahren. 
So wenig ich das Sin nliche aus dem Geistigen ableiten kann, so 
wenig kann ich aus Gott die Natur ableiten; denn das Geistige ist 
nichts außer und ohne das Sinnliche, der Geist ist nur die Essenz, der 
Sinn, der Geist der Sinne. Gott ist aber nichts Andres als der Geist 
im Allgemeinen gedacht, der Geist abgesehen vom Unterschied zwischen 
Mein und Dein. So wenig ich daher den Leib aus meinem Geiste — 
denn ich muß, um gleich ein Beispiel zu geben, eher essen oder essen kön⸗ 
nen, als ich denke, aber nicht eher denken, als ich esse, ich kann essen, 
ohne zu denken, wie die Thiere beweisen, aber nicht denken, ohne zu 
essen, — so wenig ich die Sinne aus meinem Denkvermögen, aus der 
Vernunft ableiten kann denn die Vernunft setzt die Sinne voraus, 
aber nicht die Sinne die Vernunft, denn den Thieren sprechen wir die 
Vernunft, aber nicht die Sinne ab, — so wenig, ja noch weniger kann 
ich aus Gott die Natur ableiten. Der Wahrheit und Wesenhaftigkeit 
oder Goͤttlichkeit der Natur, von welcher die Religionsphilosophie und 
Religionsgeschichte ausgeht, entspricht daher die Wahrheit und Wesen— 
haftigkeit der Sinne, von welcher die Psychologie, die Anthropologie, 
die Philosophie überhaupt ausgeht. Und so wenig die Natur eine vor— 
übergehende Wahrheit in der Geschichte der Religion, so wenig ist die 
5 Wahrheit der Sinne eine vorübergehende in der Philosophie. Die 
Un Eeitn Sinne sind vielmehr die bleibende Grundlage, auch wo sie in den Ab— 
ht ich nun stractionen der Vernunft verschwinden, wenigstens in den Augen Derer, 
gun dis welche, so wie sie an das Denken kommen, nicht mehr an die Sinne
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.