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Gott übrig, wenn ich die Welt weglasse oder wegdenke? Wo bleibt
denn seine Macht, wenn er nichts macht? seine Weisheit, wenn keine
Welt ist, in deren Regierung eben seine Weisheit besteht? wo seine
Güte, wenn Nichts ist, dem er gut ist? wo sein Bewußtsein, wenn kein
Gegenstand ist, an dem er sich seiner bewußt wird? wo seine Unendlich—
keit, wenn nichts Endliches ist? denn er ist ja nur im Gegensatze gegen
dasselbe unendlich. Wenn ich daher die Welt weglasse, so bleibt mir
auch Nichts von Gott übrig. Warum wollen wir also nicht bei ihr
stehen bleiben, da wir doch nimmermehr über und außer sie hinauskön—
nen, da uns selbst die Vorstellung und Annahme eines Gottes auf die
Welt zurückwirft, da wir mit der Hinwegnahme der Natur, der Welt
alle Wirklichkeit, folglich auch die Wirklichkeit Gottes, in wiefern er als
die Weltursache gedacht wird, aufheben? Die Schwierigkeiten, die sich
unserm Geiste bei der Frage nach dem Anfang der Welt darbieten, wer⸗
den daher durch die Annahme eines Gottes, eines außerweltlichen We—
sens nur hinausgeschoben oder beseitigt oder vertuscht, aber nicht ge⸗
löst. Es ist daher das Vernünftigste anzunehmen, daß die Welt ewig
war und ewig sein wird, daß sie folglich den Grund ihrer Existenz in
sich selbst hat. „Man kann, sagt Kant in seinen Vorlesungen über die
philosophische Religionslehre, sich des Gedankens nicht erwehren, man
kann ihn aber auch nicht ertragen, daß ein Wesen, welches wir uns als
das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage:
Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit; außer mir ist Nichts ohne das,
was blos durch meinen Willen Etwas ist; aber woher bin ich
denn?“ Das heißt mit anderen Worten: woher ist denn Gott? was
noͤthigt mich bei ihm stehen zu bleiben? Nichts; ich muß vielmehr nach
seinem Ursprung fragen. Und dieser ist kein Geheimniß; die Ursache
der ersten und allgemeinen Ursache der Dinge im Sinne der Theisten,
der Theologen, der sogenannten speculativen Philosophen — ist der
Verstand des Menschen. Der Verstand steigt vom Einzelnen und Be—
sonderen zum Allgemeinen, vom Concreten zum Abstracten, vom Be⸗
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