Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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sucht den Saufteufel, für die Freßbegierde den Freßteufel, für den Neid 
den Neidteufel, für den Geiz den Geizteufel, für die Spielsucht den 
Spielteufel, zu einer gewissen Zeit sogar für eine neumodische Hosen— 
tracht einen besonderen Hosenteufel; so wenig brauche ich die Tu— 
gend, die Weisheit, die Gerechtigkeit mir als Götter, oder, was eins 
ist, als Eigenschaften eines Gottes vorzustellen, um sie zu lieben Wenn 
ich mir etwas vorsetze, wenn ich mir z. B. die Tugend der Beständig— 
keit oder Standhaftigkeit zur Aufgabe mache, brauche ich deswegen, um 
sie nicht aus den Augen zu verlieren, ihr Altäre und Tempel zu errich— 
ten, wie die Römer die Tugend zu einer Göttin machten und selbst 
wieder einzelne Tugenden vergötterten? Braucht sie überhaupt ein 
selbstständiges Wesen zu sein, um Macht auf mich auszuüben, um mir 
Etwas zu sein? Hat sie nicht auch als eine Eigenschaft des Menschen 
Werth? Ich selbst will ja standhaft sein; ich will dem Wechsel von 
Eindrücken, denen mich meine Weichheit und Empfindlichkeit aussetzt, 
nicht länger unterliegen, ich bin mir selbst als weichlicher, empfindlicher, 
wandelbarer, launenhafter Mensch zuwider; der stand hafte Mensch ist 
daher mein Ziel. Insofern ich noch nicht standhaft bin, unterscheide 
ich freilich die Standhaftigkeit von mir, setze sie über mich als Ideal, 
personificire sie mir, rede sie vielleicht sogar in einsamen Selbstgespräch 
so an, als wäre sie ein Wesen für sich, verhalte mich also zu ihr, wie 
m der Christ zu seinem Gotte, der Romer zu seiner Tugendgöttin; aber 
sht ich weiß es, daß ich sie personificire, und trotzdem verliert sie mir nicht 
ihren Werth, denn ich habe ja persönliches Interesse an ihr, ich habe in 
dinr mir selbst, in meinem Egoismus, meinem Glückseligkeitstrieb, meinem 
n Ehrgefühl, mit welchem die allen Eindrücken und Wechselfällen offene 
m vn Weichlichkeit im Widerspruch steht, Grund genug, standhaft zu werden. 
6⸗ Dasselbe gilt von allen anderen Tugenden oder Kräften des Menschen, 
lu wie Vernunft, Wille, Weisheit, deren Werth und Realität daher nicht 
ullhe für mich verloren geht, überhaupt nicht aufgehoben wird, wenn ich sie 
nt⸗ gleich nur als Eigenschaften des Menschen betrachte und weiß, sie nicht
	        
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