Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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vergöttere, nicht zu selbstständigen Wesen mache. Dasselbe, was von 
den menschlichen Tugenden und Kräften, gilt von allen Allgemein- oder 
Gattungsbegriffen; sie existiren nicht außer den Dingen oder Wesen, 
nicht unterschieden, nicht unabhängig von den Individuen, von denen 
wir sie abgezogen haben. Das Subject, d. h. das existirende Wesen 
ist immer nur das Individuum, die Gattung nur das Prädicat, die 
Eigenschaft. Aber eben das Prädicat, die Eigenschaft des Indivi— 
duums trennt das sinnlose Denken, die Abstraction von dem Indivi— 
duum ab, macht sie für sich selbst zum Gegenstand, faßt sie in dieser 
Abgezogenheit als das Wesen der Individuen, bestimmt die Unter— 
schiede der Individuen von einander nur als individuelle, d. h. hier 
zufällige, gleichgültige, unwesentliche, so daß für das Denken, für den 
Geist alle Individuen eigentlich nur zu einem Individuum oder viel— 
mehr zu einem Begriff zusammenschwinden, das Denken sich allein den 
Kern zueignet, der sinnlichen Anschauung aber, welche uns die Indivi— 
duen als Individuen, d. h. in ihrer Vielheit, Verschiedenheit, Indivi— 
dualität und Existenz offenbart, nur die Schale läßt, so daß also das 
Denken Das, was in der Wirklichkeit das Subject, das Wesen ist, zum 
Prädicat, zur Eigenschaft, zur bloßen Mode oder Manier des Gat— 
tungsbegriffs und umgekehrt Das, was in der Wirklichkeit nur Eigen— 
schaft, nur Prädicat ist, zum Wesen macht. 
Wählen wir außer den angeführten Beispielen noch ein und zwar 
sinnliches Beispiel, um uns klarer zu werden. Jeder Mensch hat einen 
Kopf, freilich menschlichen Kopf, d. h. einen Kopf mit menschlichen Ei— 
genschaften; denn auch die Thiere haben Köpfe, obwohl der Kopf nicht 
zu dem charakteristischen Begriff der Thiere überhaupt gehört, denn es 
giebt Thiere, in denen ein eigentlicher, entwickelter Kopf noch gar nicht 
vorhanden ist, und selbst bei den höheren Thieren dient der Kopf nur 
den niederen Bedürfnissen, hat keine selbstständige Würde und Bedeu— 
tung; es tritt daher der eigentliche Kopf gegen das Gebiß zurück. Der 
Kopf ist also ein allen Menschen gemeinsames Kennzeichen, ein allge— 
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