Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

er würde sie doch gleichwohl nicht religiös verehren, nicht anbeten, wenn 
er nicht die Sonne sich vorstellte als ein Wesen, das sich von freien 
Stücken, wie der Mensch, am Himmel bewegt, wenn er nicht die Wir— 
kungen der Sonne sich vorstellte als freiwillige Gaben, die aus reiner 
Güte sie der Erde spendet. Würde der Mensch die Natur ansehen als 
das, was sie ist, mit den Augen, womit wir sie ansehen, so würde aller 
Beweggrund zu religiöser Verehrung hinwegfallen. Das Gefühl, das 
den Menschen zur Verehrung eines Gegenstandes treibt, setzt ja voraus, 
daß der Gegenstand für diese Verehrung nicht unempfindlich, daß er also 
Gefuͤhl, daß er ein Herz und zwar ein menschliches, für die menschlichen 
Angelegenheiten empfindliches Herz hat. So flehten die Griechen im 
Perserkrieg mit Opfern die Winde an, aber nur, weil sie dieselben für 
ihre Mitkämpfer, ihre Bundesgenossen gegen die Perser ansahen. Die 
Athener verehrten besonders den Boreas, den Nordwind und baten ihn 
um seinen Beistand, aber sie betrachteten ihn auch, wie Herodot erzählt, 
als ein ihnen befreundetes, ja verwandtes Wesen, denn er hatte die 
Tochter ihres Königs Erechtheus zur Frau. Was ist denn nun aber 
das, was einen Naturgegenstand in ein menschliches Wesen umschafft? 
Die Phantasie, die Einbildungskraft. Sie ist es, die ein Wesen uns 
anders darstellt, als es in Wirklichkeit ist; sie ist es, welche die Natur 
dem Menschen in jenem, den Verstand be- oder verzaubernden, das Auge 
u blendenden Lichte erscheinen läßt, für welches die menschliche Sprache 
1*8 den Ausdruck: Göttlichkeit, Gottheit, Gott erfunden hat; sie also ist es, 
bn t Rih⸗ welche die Götter der Menschen erschafft. Ich habe schon gesagt, daß 
das Wort Gott, Gottheit ursprünglich nur ein Allgemeinname, aber 
kein Eigenname ist, daß das Wort Gott ursprünglich kein Subject, son— 
dern nur ein Prädicat, d. h. kein Wesen, sondern eine Eigenschaft aus— 
. drückt, die auf jeden Gegenstand paßt oder angewendet wird, welcher 
¶n Ciand⸗ eben dem Menschen im Lichte der Phantasie als ein göttliches Wesen er— 
u scheint, welcher auf den Menschen, so zu sagen, einen göttlichen Eindruck 
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