Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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hohn, knüpft sich aber zunaͤchst nur an die Natur an; die Erscheinungen der 
Natur, namentlich die Erscheinungen, von denen der Mensch am meisten 
sich abhängig fühlt und erkennt, sind es ja auch, die den größten Ein— 
druck auf die Einbildungskraft machen, wie ich schon in den ersten Stun— 
den zeigte. Was ist das Leben ohne Wasser, Feuer, Erde, Sonne, 
Mond? welchen Eindruck machen aber auch diese Gegenstände auf das 
theoretische Vermögen, auf die Phantasie! Und zunächst ist das Auge, 
womit der Mensch die Natur betrachtet, nicht der Versuche und Beob— 
achtungen anstellende Verstand, sondern einzig die Einbildungskraft, die 
Phantasie, die Poesie. Aber was thut nun die Phantasie? sie bildet 
Alles nach dem Menschen; sie macht die Natur zu einem Bilde des 
menschlichen Wesens. „Ueberall, sagt trefflich B. Constant in 
seiner Schrift über die Religion, wo Bewegung ist, sieht der Wilde auch 
Leben; der rollende Stein scheint ihm entweder ihn zu fliehen, oder zu 
verfolgen; der tosende Strom stürzt sich auf ihn irgend ein erzürnter 
Geist wohnt in dem schäumenden Wasserfalle; der heulende Wind ist 
der Ausdruck des Leidens oder der Drohung; der Widerhall des Felsen 
prophezeit oder giebt Antwort, und wenn der Europäer dem Wilden die 
Magnetnadel zeigt, so erblickt dieser darin ein seinem Vaterlande ent⸗ 
führtes Wesen, das sich begierig und ängstlich nach ersehnten Gegen— 
ständen kehrt“. Der Mensch vergöttert daher nur dadurch oder des— 
wegen die Natur, daß er sie vermenschlicht, d. h. er vergöttertsich 
selbst, indem er die Natur vergöttert. Die Natur liefert nur das 
Material, den Stoff zum Gotte; aber die Form, die diesen rohen 
Stoff zu einem menschenähnlichen und dadurch göttlichen Wesen umge— 
staltet, die Seele liefert die Phantasie. Der Unterschied zwischen dem 
Heidenthum und Christenthum, dem Polytheismus und Monotheismus 
ist nur der, daß der Polytheist die einzelnen Gestalten und Körper der 
Natur für sich selbst zu Göttern macht, und eben deswegen das sinn⸗ 
liche, wirkliche, individuelle Wesen des Menschen, freilich unbewußt, zum 
Muster und Maaßstabe nimmt, wornach seine Phantasie die Natur— 
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