Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

dungskraft der Religion in dem Abhaͤngigkeitsgefühl ihre Wurzel hat, 
daß die religiöse Einbildungskraft sich hauptsächlich an die Gegenstände 
wendet, die das Abhängigkeitsgefühl im Menschen erregen. Das Ab— 
hängigkeitsgefühl des Menschen knüpft sich aber nicht nur an bestimmte 
Gegenstände an. Wie das Herz stets in Bewegung ist, in Einem fort 
pocht und klopft, so ruht auch nie im Menschen, namentlich in dem von 
der Einbildungskraft beherrschten, das Abhängigkeitsgefühl; denn bei 
jedem Schritte, den er thut, kann ihm ja ein Uebel geschehen, von jedem 
Gegenstande, er sei auch noch so geringfügig, kann ihm selbst der Tod 
gebracht werden. Dieses Angstgefühl, diese Unsicherheit, diese den Men⸗ 
schen stets begleitende Furcht vor Uebeln ist die Wurzel der religiösen 
Einbildungskraft, und da der religiöse Mensch alles Uebel, was ihm 
begegnet, bösen Wesen oder Geistern zuschreibt, so ist die Gespenster— 
und Geisterfurcht das Wesen der religiösen Einbildungskraft, wenigstens 
bei den ungebildeten Menschen und Völkern. Was der Mensch fürch— 
tet, wovor er erschrickt, das verwandelt ja sogleich die Phantasie in ein 
böses Wesen oder umgekehrt, was ihm die Phantasie als solches vor— 
stellt, das fürchtet er, und sucht es daher durch religiöse Mittel sich ge— 
neigt oder unschädlich zu machen. So hat man z. B, bei den Chiquitos 
in Paraguay, wie es in der „Geschichte von Paraguay von Charlevoirx“ 
heißt, „keine deutliche Spur von Religion angetroffen, doch fürchteten 
sie die Dämonen, die ihnen, wie sie sagten, unter den scheußlichsten Ge⸗ 
stalten zu erscheinen pflegten. Den Anfang zu ihren Festen und Gaste— 
reien machten sie damit, daß sie die Dämonen anriefen, sie möchten 
hre Freudenicht stören“. Die Otahaiter glauben, daß, wenn 
Einer mit dem Fuße an einen Stein stößt und es ihn schmerzt, dies ein 
oder der Eatua, d. h. Gott gethan, so daß man von ihnen, wie es in 
Cook's dritter und letzter Reise heißt, „buchstäblich sagen kann, daß sie 
h lie bei ihrem Religionssystemimmerauf bezauberten Boden 
pndem, treten.“ So glauben auch die Ashantis in Afrika, wenn sie des Nachts 
nhl⸗ im Finstern über einen Stein fallen, ein böser Geist habe sich in den 
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