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Vierundzwanzigste Vorlesung.
Die Erscheinung, daß Verstand wenigstens in gewissen Lebens—
sphären sich mit dem unverständigsten Aberglauben, politische Freiheit
mit religiösem Knechtsinn, naturwissenschaftliche, industrielle Fortschritte
mit dem religiösen Stillstande, selbst mit der Bigotterie vertragen, hat
Manche auf die oberflächliche Ansicht und Behauptung gebracht, daß die
Religion für das Leben, namentlich das öffentliche, politische Leben ganz
gleichgültig sei; das Einzige, was man in dieser Beziehung erstreben
müsse, sei unbedingte Freiheit zu glauben, was man wolle. Ich erwidere
aber dagegen, daß solche Zustände, wo politische Freiheit mit religiöser
Befangenheit und Beschränktheit verbunden ist, keine wahren sind. Ich
für meinen Theil gebe keinen Pfifferling für politische Freiheit, wenn
ich ein Sclave meiner religiösen Einbildungen und Vorurtheile bin.
Die wahre Freiheit ist nur da, wo der Mensch auch religiös frei ist;
die wahre Bildung nur da, wo der Mensch seiner religiösen Vorurtheile
und Einbildungen Herr geworden ist. Das Ziel des Staats kann aber
kein anderes sein, als wahre, vollkommene Menschen — vollkommen
freilich nicht im Sinne der Phantastik — zu bilden; ein Staat daher,
dessen Bürger bei freien politischen Instituten religiös unfrei sind, kann
daher kein wahrhaft menschlicher und freier Staat sein. Der Staat
macht nicht die Menschen, sondern die Menschen machen den Staat.
Wie die Menschen, so der Staat. Wo einmal ein Staat besteht, da