Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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werden kann. Aber Gegenstand der Religion, der Religion wenigstens 
im eigentlichen Sinne, wird ein Gegenstand der Phantasie, des Gefühls, 
des Glückseligkeitstriebs nur unter besondern Bedingungen, unter den 
eben bisher entwickelten Bedingungen, unter der Bedingung des Stand— 
punkts, wo dem Menschen aus Mangel an Bildung, an Wissenschaft, 
an Kritik, an Unterscheidung zwischen dem Subjectiven und Objectiven 
ein Gegenstand oder Wesen nicht zugleich als Das, was es selbst, was 
es in Wirklichkeit, was es als ein Object des Verstandes und Sinnes 
ist, sondern nur als Gefühlswesen, als Phantasiewesen, als Glück— 
seligkeitswesen Gegenstand ist. Denn allerdings ist auch dem Natura⸗ 
listen die Natur ein Gegenstand des Glückseligkeitstriebes, denn wer 
kann glücklich sein z. B. in einem Kerkerloch ohne Raum, ohne Luft, 
ohne Licht? ein Gegenstand der Einbildungskraft, selbst der Phantasie, 
ein Gegenstand des Gefühles, selbst des Abhängigkeitsgefühles, aber 
nur auf Grund ihres wirklichen, gegenständlichen Wesens, und eben 
deswegen wird er nicht von seinem Glückseligkeitstrieb hinter's Licht ge⸗ 
führt, nicht von seinem Gefühl übermannt, nicht von seiner Phantasie 
überflügelt, so daß ihm die Natur als subjectives, d. i. persönliches, 
willkürliches, gnädiges und ungnädiges, strafendes und belohnendes 
Wesen erschiene, folglich als ein Wesen, welches nothwendig, seiner 
Natur näch ein Gegenstand von Opfern und Bußen, von Lob⸗ und Dank— 
liedern, von ehrfurchtsvollen Bitten und Kniebeugungen, d. h. ein Ge— 
genstand der Religion ist. Auch der Naturalist oder Humanist verehrt, 
um noch ein anderes Beispiel zu geben, die Todten noch, aber nicht reli— 
giös, nicht als Götter, weil er nicht, wie die religiöse Einbildungskraft 
die nur vorgestellten Wesen zu wirklichen, persönlichen Wesen macht, 
weil er nicht die Empfindungen, die der Todte auf ihn macht, auf 
den Gegenstand überträgt, nicht die Todten für furchtbare, schreckliche 
Wesen, überhaupt nicht für Wesen hält, die noch Willen, noch Vermö— 
gen zu schaden oder nützen haben, die man ehren, fürchten, bitten und 
besänftigen muß, wie ein wirkliches Wesen. 
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