Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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Aber eben so, wie ich schrieb, werde ich lesen. Der Zweck meiner 
Schriften, so auch meiner Vorlesungen ist: die Menschen aus Theologen 
zu Anthropologen, aus Theophilen zu Philanthropen, aus Candidaten 
des Jenseits zu Studenten des Diesseits, aus religiösen und politischen 
Kammerdienern der himmlischen und irdischen Monarchie und Aristo— 
kratie zu freien, selbstbewußten Bürgern der Erde zu machen. Mein 
Zweck ist daher nichts weniger als ein nur negativer, verneinender, 
sondern ein positiver, ja ich verneine nur, um zu bejahen; ich verneine 
nur das phantastische Scheinwesen der Theologie und Religion, um das 
wirkliche Wesen des Menschen zu bejahen. Mit keinem Worte hat man 
größern Unfug in neuerer Zeit getrieben, als mit dem Worte negativ. 
Wenn ich auf dem Gebiete der Erkenntniß, der Wissenschaft etwas ver— 
neine, so muß ich dafür Gründe angeben. Gründe aber lehren, gewäh— 
ren Licht, schaffen Erkenntniß in mir; jede wissenschaftliche Verneinung 
Wn ist ein positiver Geistesact. Allerdings ist es eine Folge meiner Lehre, 
Mmoe daß kein Gott ist, d. h. kein abstractes, unsinnliches, von der Natur 
Vy 7* und dem Menschen unterschiedenes Wesen, welches über das Schicksal 
9 der Welt und Menschheit nach seinem Wohlgefallen entscheidet; aber 
m diese Verneinung ist nur eine Folge von der Erkenntniß des Wesens 
Gottes, von der Erkenntniß, daß dieses Wesen nichts Andres ausdrückt 
als einerseits das Wesen der Natur, andererseits das Wesen des 
Menschen. Allerdings kann man diese Lehre, weil Alles in der Welt 
einen Spitznamen haben soll, Atheismus nennen, aber man muß nur 
nicht vergessen, daß mit diesem Namen gar nichts gesagt ist, so wenig 
als mit dem entgegengesetzten Namen Theismus. Theos, Gott ist ein 
bloßer Name, der alles Mögliche befaßt, dessen Inhalt so verschieden ist, 
als die Zeiten und Menschen es sind; es kommt daher darauf an, was 
einer unter Gott versteht. So war z. B, noch im vorigen Jahrhundert 
die Bedeutung dieses Wortes von der christlichen Orthodoxie in so pe— 
5 dantisch enge Gränzen eingeschlossen, daß selbst Plato fuͤr einen Atheisten 
mn. galt, weil er nicht die Schöpfung aus Nichts gelehrt, folglich den
	        
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