Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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N o der Feuer⸗ und Webekunst, nicht als Verdienst sich anrechnet, weil er die 
Anlagen, die Principien zu diesen Kunstfertigkeiten von Natur, aber 
nicht von sich hat. Sei religiös! heißt: bedenke, was du bist: — ein 
Mensch, ein Sterblicher! Nicht das sogenannte Gottesbewußtsein, son— 
dern das Menschenbewußtsein ist ursprünglich oder an sich das Wesen 
der Religion (in ihrem bleibenden positiven Sinn) — das Bewußtsein 
oder Gefühl, daß ich Mensch, aber nicht die Ursache des Menschen bin, 
lebe, aber nicht die Ursache des Lebens, sehe, aber nicht die Ursache des 
Sehens bin. Die Religion in diesem Sinne aufheben wollen, wäre 
eben so unsinnig, als wenn man ohne Talent blos durch seinen Willen 
und Fleiß sich zum Künstler machen wollte. Ohne Talent und folglich 
ohne Beruf ein Werk beginnen, heißt es ohne Gott beginnen; mit Ta— 
lent es beginnen, heißt es mit Erfolg, heißt es mit Gott beginnen. „In 
uns, sagt Ovid in seinen Fasten, wohnet ein Gott, wir erglühn, 
wenn er uns erreget“. Dieser Gott des Dichters aber was ist er? die 
personificirte Dichtkunst, das als göttliches Wesen vergegenständlichte dich— 
terische Talent. „Alle Versuche, sagt vortrefflich Goethe, irgend eine aus— 
laͤndische Neuerung einzuführen, wozu das Bedürfniß nicht im tiefen Kern 
der eignen Nation wurzelt, sind thöricht und alle beabsichtigten Revolu⸗ 
tionen solcher Art ohne Erfolg, denn sie sind ohne Gott, der sich von solchen 
Pfuschereien zurückhält. Ist aber ein wirkliches Bedürfniß zu einer gro— 
ßen Reform in einem Volk vorhanden, so ist Gott mit ihm und sie gelingt“. 
Das heißt: was ohne Noth und folglich ohne Recht geschieht, denn das 
Nothrecht ist das Urrecht, das geschieht ohne Gott. Wo keine Noth— 
wendigkeit zu einer Revolution, fehlt auch der wahre Trieb, das Talent, 
un. der Kopf zur Revolution und sie muß daher nothwendig scheitern. Ein 
gottloses oder, was eins ist, erfolgloses Unternehmen ist ein kopf⸗ und 
setn tt tactloses Unternehmen. Das Andere, was an der Religion zu bemer⸗ 
e ken ist und wir auch bereits bemerkt haben, ist der Hochmuth, womit der 
u Mensch, nur von sich selbst eingenommen, Alles verselbstet, vermensch⸗ 
At hunn licht und so auch das vom Menschen unterschiedene Wesen im Menschen
	        
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