Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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überhaupt tadeln es zwar, wenigstens auf dem Katheder oder in der feln 
Schrift, wenn man solche Erscheinungen, wie die eben angeführten, als 
charakteristische Erscheinungen des religiösen Prinzips bezeichnet; aber ir 
zur Charakteristik der Religion, wenigstens der Religion im gewöhnlichen 
oder vielmehr geschichtlichen, die Welt beherrschenden Sinne des Wortes, 
gehört eben nicht, was in den Büchern, sondern was im Leben gilt. 
Die Christen unterscheiden sich nur dadurch von den sogenannten Heiden 
oder uncultivirten Volkern, daß sie die Ursachen der ihre religiöse Furcht 
erregenden Erscheinungen nicht zu besonderen Göttern, sondern zu einer 
besonderen Eigensch aft ihres Gottes machen. Sie wenden sich 
nicht an boͤse Goͤtter; aber sie wenden sich an ihren Gott, wenn er, ih— 
rem Glauben nach, zornig ist, oder damit er ihnen nicht böse werde, sie 
nicht strafe mit Uebel und Unheil. Wie also die bösen Götter fast die 56 
einzigen Verehrungsgegenstände der rohen Völker sind, so ist auch der diest 
zornige oder böse Gott der hauptsächlichste Gegenstand der Verehrung L 
bei den christlichen Völkern, also auch bei ihnen der hauptsaͤchlichste hau 
Grund der Religion die Furcht. Als Bestätigung dieser Erklärung führe tum 
ich endlich noch an, daß die christlichen oder religiösen Philosophen und ohhi 
Theologen dem Spinoza, den Stoikern, den Pantheisten überhaupt, L 
deren Gott nichts Andres ist, bei Licht besehen, als das nackte Wesen 6 
der Natur, vorgeworfen haben, daß ihr Gott kein Gott, d. h. kein h 
eigentlicher religiöser Gott sei, weil er kein Gegenstand der Liebe und 
Furcht, sondern nur ein Gegenstand des kalten, affectlosen Verstandes aal 
sei. Wenn sie daher gleich die Erklärung der alten Atheisten der Reli— 
gion aus der Furcht verwarfen, so gestanden sie damit doch indirect ein, 7 
daß wenigstens die Furcht ein wesentlicher Bestandtheil der Religion ihn 
sei shenf 
Aber gleichwohl ist die Furcht nicht der vollstäͤndige, ausreichende hh 
Erklärungsgrund der Religion, nicht aber nur aus dem von Einigen gel— dh 
tend gemachten Grunde, weil die Furcht ein vorübergehender Affect ist; 
denn es bleibt ja der Gegenstand der Furcht, wenigstens in der Vor—
	        
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