Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

wissen will, wenn ich ihn als das Ziel des Menschen bestimme, so wenig 
will ich die Natur im Sinne der Theologie oder des Pantheismus ver— 
göttert wissen, wenn ich sie als den Grund der menschlichen Existenz, 
als das Wesen, von dem sich der Mensch abhängig, von dem er sich 
unzertrennlich wissen soll, bestimme. So gut ich ein menschliches In⸗ 
dividuum verehren und lieben kann, ohne es deswegen zu vergöttern, 
ohne selbst deswegen seine Fehler und Mängel zu übersehen, eben so 
gut kann ich auch die Natur als das Wesen, ohne welches ich Nichts 
bin, anerkennen, ohne deswegen ihren Mangel an Herz, Verstand und 
Bewußtsein, die sie erst im Menschen bekommt, zu vergessen, ohne also 
in den Fehler der Naturreligion und des philosophischen Pantheismus 
zu verfallen, die Natur zu einem Gotte zu machen. Die wahre Bil— 
dung und wahre Aufgabe des Menschen ist, die Dinge zu nehmen und 
zu behandeln, wie sie sind, nicht mehr, aber auch nicht weniger 
aus ihnen zu machen, als sie sind. Die Naturreligion, der Pantheis— 
mus macht aber zu viel aus der Natur, wie umgekehrt der Idealismus, 
der Theismus, der Christianismus zu wenig aus ihr macht, sie eigent⸗ 
lich zu gar Nichts macht. Unsere Aufgabe ist es, die Extreme, die 
Superlative oder Uebertreibungen des religiösen Affects zu vermeiden, 
die Natur als das zu betrachten, zu behandeln und zu verehren, was 
sie ist — als unsere Mutter. So gut wir aber unserer menschlichen 
Mutter die ihr gebührende Achtung angedeihen lassen, nicht, um sie zu 
verehren, die Schranken ihrer Individualität, ihres weiblichen Wesens 
überhaupt zu vergessen brauchen, so gut wir im Verhältniß zur mensch— 
lichen Mutter nicht blos auf dem Standpunkt des Kindes stehen bleiben, 
sondern ihr mit freiem männlichen Bewußtsein gegenübertreten, eben so gut 
sollen wir auch die Natur nicht mit den Augen religiöser Kinder, sondern 
mit den Augen des erwachsenen, selbstbewußten Menschen betrachten. 
Die alten Völker, welche alles Mögliche im Uebermaß ihres religiösen 
Affectes und demüthigen Sinnes als Gott verehrten, die fast Alles nur 
mit religiösen Augen ansahen, nannten auch die Eltern, wie es z. B.
	        
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