Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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die Thiere wegen ihrer Verdienste um die Menschheit, also seinetwegen, 
nicht aus bestialischen, sondern humanen Gründen verehrt. 
Wie in der Thierverehrung der Mensch sich selbst verehrt, davon n 
haben wir ein Beispiel an der Art, wie noch heute der Mensch die dn 
Thiere schätzt. Der Jäger schätzt nur die auf die Jagd, der Bauer nur I 
die auf den Ackerbau Bezug habenden Thiere, d. h. der Jäger schätzt in 3 
dem Thier das Jagdwesen, welches sein eigenes Wesen ist, der Bauer 9 
nur die Oekonomie, die seine eigene Seele und practische Gottheit ist. mn 
Auch an dem Thiercultus haben wir daher einen Beweis und ein Bei— mn 
spiel von der Behauptung, daß in der Religion der Mensch nur sein 
eigenes Wesen vergegenständlicht. So verschieden die Menschen, so 
verschieden ihre Bedürfnisse, so verschieden ihr wesentlicher, sie charakteri— 
sirender Standpunkt, so verschieden sind auch bei den wenigstens der 
Culturgeschichte angehörenden Völkern die Thiere, die sie hauptsächlich 
verehren, so daß wir aus der Qualität der Thiere, welche der Gegen— 
stand der Verehrung waren, selbst die Qualität der sie verehrenden 
Menschen erkennen. So war „der Hund, wie Rhode in seiner Schrift: 
„die h. Sage und das gesammte Religionssystem der alten Baktrier, 
Meder und Parsen oder des Zendvolkes“ bemerkt, den Anfangs blos 
von Viehzucht lebenden Parsen die wichtigste Stütze im Kampf gegen 
die ahrimanische Thierwelt, da h. gegen Wölfe und andere reißende Thiere, 
daher wurde, wer einen brauchbaren Hund oder eine schwangere Hün⸗ 
din getoͤdtet hatte, mit dem Tode bestraft. Der Aegypter hatte bei sei— 
nem Feldbau weder Wölfe noch andere reißende Thiere zu fürchten. Ratten 
und Mause waren die Werkzeuge Typhons, die ihm schadeten, daher nahm 
die Katze bei ihm die Rolle ein, welche dem Hund beim Zendvolk einge— 
raͤumt war.“ Aber nicht nur den practischen Culturstandpunkt eines Volks, 
auch sein theoretisches Wesen, seinen geistigen Standpunkt überhaupt ver— 
gegenstaͤndlicht uns der Thierdienst, der Naturdienst überhaupt; denn wo 
der Mensch Thiere und Pflanzen verehrt, da ist er kein Mensch noch wie 
wir, da identificirt er sich mit den Thieren und Pflanzen, da sind sie
	        
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