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16.
Der Eid.
Die Flüche und Verwünschungen kommen im Alterthum,
auch im christlichen, keineswegs nur, wie bei uns, im gemeinen
Leben zum Vorschein; sie spielen dort eine höchst wichtige poli—
tische und juristische Rolle, erscheinen bei den feierlichsten Hand—
lungen, bilden selbst einen wesentlichen Bestandtheil der Eid—
schwüre. So versichert bei Homer Agamemnon mit einem Eid—
schwur dem Achilleus, daß er nie an Brises Tochter Hand ange— nt
legt, und schließt mit dem Worte: „Schwör ich einiges falsch,
dann senden mir Elend die Götter ohne Maaß, wie sie senden dem
frevelen Schwörer des Meineids.“ (J. 19, 264.) Und als die
Achäer und Trojer übereingekommen waren, daß Paris und Me—
nelaos durch einen Zweikampf dem Krieg ein Ende machen sollten,
riefen sie die Götter zu Zeugen und Wächtern dieser Uebereinkunft
an, schlachteten Lämmer, sprengten Wein, und schlossen den Eid—
schwur mit dem Gebet an die Götter, die Eidbrüchigen zu ver—
nichten: „Blutig fließ ihr und der Kinder Gehirn, wie der Wein
hier rings auf der Erde.“ (J. 3, 298.) Aber nicht nur Ares,
der rohe Kriegsgott, auch Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, und
Themis, die Göttin der gesetzlichen Ordnung, welche „die Ver—
sammlungen der Männer festsetzt und auflöst“, fluchen und ver—
wünschen. Der Eid der Heliasten in Athen, worin sie unter An—
derm versprechen mußten, keine Geschenke anzunehmen, schloß mit
den Worten: „Ich schwöre beim Zeus, dem Poseidon und der
Demeter, Verderben müsse (oder soll) mich und meine ganze Fa—
milie treffen, wenn ich diesen Eid in irgend einem Stücke breche:
im Gegentheil aber, müsse es mir immer wohl gehn.“ (elitus,
Leges Att. Paris 1635. p. 13. 301.) Eben so eröffnete die