Mikrofraktographische Beobachtungen an Kerbschlagproben untegierter Stähle
Erich Kubalek, Otto Schaaber
(Institut für Härterei-Technik, Bremen, Abhandlung 145)
1. Einleitung
Das Sonderverfahren der Metallographie, die Gefügeuntersuchung sehr rauher Oberflächen,
hat durch den Einsatz des Rasterelektronenmikroskopes starke Belebung erfahren. Im
folgenden Beitrag sind die charakteristischen Beobachtungen an Bruchoberflächen zusam-
mengestellt, die im Rahmen der Kerbschlagzähigkeitsbestimmung von unlegierten Stählen in
Abhängigkeit vom Gefügezustand, von der Korngröße und der Prüftemperatur angefallen
sind.
2. Beobachtungen am einphasigen unlegierten Stahl
Normalisiertes, texturfreies Armcoeisen kann, sofern man vom Zementit und von Verun-
reinigungen absieht, als charakteristisch für einen regellos orientierten, einphasigen unlegier-
ten Stahl angesehen werden. Kerbschlagzähigkeitsbestimmungen an Armcoeisen unterschied-
licher Korngröße bei verschiedenen Prüftemperaturen geben daher die Verhältnisse am ein-
phasigen Vielkristall wieder. Fig. 1 gibt einen Überblick über die vorliegenden Meßergebnisse.
Mit zunehmender Korngröße verschieben sich die Bereiche des Verformungs-, des Misch- und
des Sprödbruches zu höheren Temperaturen. Die Betrachtung aller dieser Bruchoberflächen
im Rasterelektronenmikroskop zeigte charakteristische topographische Erscheinungen, die
im folgenden näher geschildert werden.
2.1 Sprödbruch
Im Sprödbruchbereich tritt der für einen kubisch raumzentrierten Werkstoff charakteristi-
sche Spaltbruch auf! ?. Jedes Korn hat seine individuelle Spaltfläche?. Die Spaltflächen-
größe entspricht daher der Korngröße. Fig. 2 zeigt einen solchen charakteristischen Spalt-
bruch, der beim Armcoeisen transkristallin ausgebildet ist. Die Spaltflächen sind {100} —
Ebenen, wie die Ätzgruben auf den Bruchoberflächen zeigen (Fig. 3)*. Wegen der Wechsel-
wirkung der Rißfortpflanzung mit mikrostrukturellen Erscheinungen, wie z.B. Korn- und
Subkorngrenzen, treten auf den Spaltflächen charakteristische Oberflächenerscheinungen
auf! „2.345, 6
Am auffälligsten sind die Flußmuster (Fig. 4). Jede dieser Linien stellt genau genommen
einen Niveauunterschied in der Spaltfläche dar (Fig. 5). Dieser wird dadurch verursacht, daß
der Riß nicht einer einzigen kristallographischen Ebene folgt, sondern durch Kristallfehler in
einzelne Rißsegmente zerbricht, die sich nun ihrerseits gleichzeitig auf parallelen Ebenen
fortbewegen und sich schließlich durch sekundären Spaltbruch oder durch Abscherung
verbinden. Die Entstehung dieser Spaltflächenstufen ist auf einen Schneidprozeß des
Spaltungsrisses mit Schraubenversetzungen zurückzuführen‘ *. Ihre Richtung (Pfeile in
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