Praktische Bedeutung von Untersuchungsergebnissen
mit dem Hochtemperaturmikroskop für die Verarbeitung
und die Verwendung von legierten Werkzeugstählen
ALFRED KULMBURG, KARL SWOBODA
(Forschungsanstalten der Edelstahlwerke Gebr. Böhler & Co., Aktiengesellschaft, Kapfen-
berg, Österreich)
1. Einleitung
Bei Untersuchungen mit dem Hochtemperaturmikroskop besteht die Möglichkeit, daß die
Untersuchungsergebnisse durch Oberflächeneffekte beeinflußt werden. Die Heranziehung
dieser Untersuchungstechnik zur Beurteilung von Vorgängen, die sich im wesentlichen im
Werkstoffinneren und nicht an der Werkstoffoberfläche abspielen, ist daher nur mit Ein-
schränkungen oder überhaupt nicht möglich. Von besonderem Interesse ist daher, daß bei
der Bestimmung von Aufschmelztemperaturen die Oberflächeneffekte meist nur eine unter-
geordnete Rolle spielen, wie auch den einschlägigen Veröffentlichungen entnommen werden
kann! bis 3 Im Vergleich zu anderen Möglichkeiten zur Bestimmung dieser Temperaturen
bietet die Hochtemperaturmikroskopie erhebliche Vorteile. Hierzu gehören vor allem der
geringe Aufwand für das Probenmaterial und für die Versuchsdurchführung sowie die Mög-
lichkeit, die Probe bis zum Auftreten von Aufschmelzerscheinungen im Mikroskop
beobachten oder filmen zu können*> >. Nur in dieser Weise ist es z. B. möglich, das Ver-
halten bestimmter Gefügebestandteile bei Temperaturveränderungen zu verfolgen.
Bei den legierten Werkzeugstählen ist die Kenntnis der Aufschmelztemperaturen für die
Praxis der Warmformgebung und Wärmebehandlung vor allem dann von Bedeutung, wenn
niedrig schmelzende Eutektika oder Peritektika im Gefüge auftreten können. Solche Mög-
lichkeiten bestehen bei den übereutektoidischen Stählen und bei den Schnellarbeitsstählen,
weshalb auch die praktische Bedeutung der Aufschmelzerscheinungen bei diesen Stahl-
gruppen Gegenstand des Berichtes ist.
2. Übereutektoidische Werkzeugstähle
Bei den übereutektoidischen legierten Werkzeugstählen bilden sich beim Übergang vom
flüssigen in den festen Zustand in den zuletzt erstarrenden Bereichen Ledeburitinseln mit
Anhäufungen an groben Karbiden, die das Gebrauchsverhalten dieser Stähle nachteilig
beeinflussen können. In solchen Fällen besteht die Möglichkeit, die Ledeburitinseln durch
Glühbehandlungen bei Temperaturen oberhalb von 1100° C, z.B. unmittelbar nach
erfolgtem Abguß, in Lösung zu bringen. Um hierbei mit möglichst kurzen Glühzeiten aus-
zukommen, soll die Glühtemperatur so hoch wie möglich liegen, darf aber keinesfalls die
Solidustemperatur erreichen oder überschreiten. Die Festlegung der optimalen Glühbehand-
lungen hat daher die genaue Kenntnis der Solidustemperatur zur Voraussetzung. Von
Interesse ist aber auch, ob solche Glühbehandlungen die Höhe der Solidustemperatur
beeinflussen, da bei den für die Auflösung der Ledeburitkarbide erforderlichen hohen
Temperaturen auch ein Abbau der Kristallseigerungen erfolg‘.
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